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Lieblingsgedichte

(Forts.)
Außerdem gehören sie nicht mir.
Ach, ich hab die ganze letzte NAcht,
Rumgegrübelt, was ich dir
geben könnte. Schlief deshalb nur eine,
Allerhöchstens zwei von sieben Stunden,
Und zum Schluß hab ich doch nur dies kleine,
lumpige beschissne Ding gefunden.
Aber gern hab ich für dich gewacht.
Was ich nicht vermochte, tu du s: Drücke du
Nun ein Auge zu,
Und bedenke,
Dass ich dir fünf Stunden Wache schenke,
Lass mich auch in Zukunft nicht in Ruh.

Joachim Ringelnatz

Mit Grüßen von Ulrike
 
Passend zu Weihnachtszeit ein
herrliches Gedicht von James Krüss:

Die Weihnachtsmaus


Die Weihnachtsmaus ist sonderbar -
sogar für die Gelehrten.
Denn einmal nur im ganzen Jahr
entdeckt man ihre Fährten.


Mit Fallen und mit Rattengift
kann man die Maus nicht fangen.
Sie ist, was diesen Punkt betrifft,
noch nie ins Garn gegangen.

Das ganze Jahr macht diese Maus
den Menschen keine Plage.
Doch plötzlich aus dem Loch heraus
kriecht sie am Weihnachtstage.


Zum Beispiel war vom Festgebäck,
das Mutter gut verborgen,
mit einem mal das Beste weg
am ersten Weihnachtsmorgen.


Da sagte jeder rundheraus:
Ich hab´ es nicht genommen!
Es war bestimmt die Weihnachtsmaus,
die über Nacht gekommen.


Ein andres Mal verschwand sogar
das Marzipan von Peter;
Was seltsam und erstaunlich war.
Denn niemand fand es später.


Der Christian rief rundheraus:
ich hab es nicht genommen!
Es war bestimmt die Weihnachtsmaus,
die über Nacht gekommen!


Ein drittes Mal verschwand vom Baum,
an dem die Kugeln hingen,
ein Weihnachtsmann aus Eierschaum
nebst andren leck`ren Dingen.


Die Nelly sagte rundheraus:
Ich habe nichts genommen!
Es war bestimmt die Weihnachtsmaus,
die über Nacht gekommen!


Und Ernst und Hans und der Papa,
die riefen: welche Plage!
Die böse Maus ist wieder da
und just am Feiertage!


Nur Mutter sprach kein Klagewort.
Sie sagte unumwunden:
Sind erst die Süßigkeiten fort,
ist auch die Maus verschwunden!


Und wirklich wahr: Die Maus blieb weg,
sobald der Baum geleert war,
sobald das letzte Festgebäck
gegessen und verzehrt war.


Sagt jemand nun, bei ihm zu Haus,
bei Fränzchen oder Lieschen,
da gäb es keine Weihnachtsmaus,
dann zweifle ich ein bißchen!


Doch sag ich nichts, was jemand kränkt!
Das könnte euch so passen!
Was man von Weihnachtsmäusen denkt,
bleibt jedem überlassen.
 
Dieses Gedicht mußte unser Sohn in der Grundschule auswendig lernen!
James Krüss : ein wunderbarer Schriftsteller - steht heuer von ihm noch
etwas in den Lesebüchern? Ich bin da nicht mehr so auf dem Laufenden -
Ulrike
 
Himmel

Wäre das Leben so einfach
und voller Heiterkeit,
wozu dann diese
ganze Traurigkeit.

Wäre es glücklich
Tag für Tag,
würde trotzdem kommen
was kommen mag?

Robert Creeley
 
Variation zu einem Thema von Rilke


Ein bestimmter Tag wurde mir zu einer Präsenz;
da war sie, trat mir entgegen – Himmel, Luft, Licht:
ein Wesen. Und bevor es herabzusteigen begann
von der Höhe des Mittags, beugte es sich über mich
und schlug auf meine Schulter wie mit
der Fläche eines Schwerts, erteilte mir
Ehre und eine Aufgabe. Der Schlag des Tages
erklang metallisch, oder war ich es, eine Glocke, erwacht,
und was ich hörte, war mein ganzes Selbst,
das sagte und sang, was es wusste: ich kann.


Denise Levertov
 
Wie an anderer Stelle im Forum bereits angeregt wurde, wäre es schön wenn ihr hier eure Lieblingsgedichte
präsentieren könntet.

Hier ist mein Lieblingsgedicht. Es stammt von Goethe und hat mir geholfen, mutig manch heikle Situation anzugehen:

Feiger Gedanken
bängliches Schwanken,
weibisches Zagen
ängstliches Klagen
wendet kein Elend
macht dich nicht frei.

Allen Gewalten
zum Trotz sich erhalten,
nimmer sich beugen
kräftig sich zeigen
ruftet die Arme
der Götter herbei.

Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)
 
Danke für dieses wunderbare Gedicht vom Großfürsten aller Dichter.

Der, der ihm ebenbürtig war, hat wie kein Anderer in nur zwei Sätzen
erklärt was Dichtung ist und wieso sie nicht stirbt:


Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken.
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt.

Friedrich von Schiller
 
Finnischer Tango

"Die Furie Des Verschwindens"


Was gestern abend war ist unf ist nicht
Das kleine Boot das sich entfernt
und das kleine Boot das sich nähert
Das Haar das ganz nah war ist fremdes Haar
Das ist leicht gesagt Das ist immer so
Der graue See ist doch der graue See
Das frische Brot von gestern abend ist hart
Niemand tanzt Niemand flüstert Niemand weint
Der Rauch ist verschwunden und nicht verschwunden
Der graue See ist jetz blau Jemand ruft
Jemand lacht Jemand ist fort
Es ist ganz hell Es war halb dunkel
Das kleine Boot kehrt nicht immer zurück
Es ist dasselbe und nicht dasselbe
Niemand ist da Der Felsen ist Felsen
Der Felsen hört auf Felsen zu sein
Der Felsen wird wieder zum Felsen
Das ist immer so Es verschwindet
nichts und nichts bleibt Was da war
ist und ist nicht und ist Das
versteht niemand Was gestern abend war
Das ist leicht gesagt Wie hell
der Sommer hier ist und wie kurz


Hans Magnus Enzensberger
 
DIE MAUER


Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht,
wie hoch sie ist
in uns

Wir hatten uns gewöhnt
an ihren horizont

Und an die windstille

In ihrem schatten warfen
alle keinen schatten

Nun stehen wir entblößt
jeder entschuldigung


Reiner Kunze
 
Ohne weitere Worte:


An jenem Tag

An jenem Tag, der einmal kommen muß,
wird selbstverständlich alles weitergeh'n wie bisher,
als wäre nichts Besonderes vorgefallen.
Nur das Theatergebäude,
in welchem ich mich als Komiker verkleidet hatte,
wird einen schwarzen Stoff in den Wind hängen.

An jenem Tag, der einmal kommen muß:
Zeitungen werden mein Bild zeigen
"Wieder einer von der alten Garde",
"Wie werden seiner gedenken!"
Eine Minute im Radio.
Und die werden mir das Geleit geben,
die im Leben so wenig mit mir gegangen sind.

An jenem Tag, der einmal kommen muß -
an den Fingern einer einzigen Hand
wird man sie abzählen können,
die ehrlich um mich trauern,
denen der Verlust wirklich weh tut.
Euch segne ich, sende euch Trost -
bald wird alles vergessen sein.

An jenem Tag -
das Tor zum Licht wird für mich aufgetan sein.
Ich werde alle Bindungen und Verwirrungen lösen können.
Ich werde erkennen die große Wirklichkeit.
Wahrscheinlich - nein, sogar bestimmt -
werde ich unsagbar glücklich und
grenzenlos zufrieden sein.

Denn: An jenem Tag
hinter jenem goldenen Tor
wird ein riesiges Theater sein.
Mit Kollegen, die immer kollegial sind,
mit Kritikern, die immer sachlich sind,
mit Regisseuren, die immer geduldig sind,
die himmlischen Heerscharen mein Publikum.
Und ich werde alle zum Lachen bringen.
Aber plötzlich einmal - ganz unerwartet -
werde ich mittendrin - ganz unerwartet -
etwas ganz Wesentliches sagen dürfen,
etwas, das uns alle betrifft.
Und alle werden mit dem Kopf nicken
an jenem Tag und sagen:
"Das war richtig so!
Das war wichtig so!
Da spürt man doch,
dass er auch ein Mensch war."
Und sie werden
einen himmelblauen Stoff
in den Wind hängen,
einen strahlenden
Rundhorizont
um die ganze
weite Erde,
und ich werde
glücklich sein
und ich werde
sehr zufrieden sein

an jenem Tag,
an jenem Tag,
an jenem Tag.

Max Böhm
 
Vor vollen Schüsseln muß ich Hungers sterben,
am heißen Ofen frier ich mich zu Tod,
wohin ich greife, fallen nichts als Scherben,
bis zu den Zähnen geht mir schon der Kot.
Und wenn ich lache, habe ich geweint,
und wenn ich weine, bin ich froh,
daß mir zuweilen auch die Sonne scheint,
als könnte ich im Leben ebenso
zerknirscht wie in der Kirche niederknien ...
ich, überall verehrt und angespien.

Nichts scheint mir sichrer als das nie Gewisse,
nichts sonnenklarer als die schwarze Nacht.
Nur das ist mein, was ich betrübt vermisse,
und was ich liebte, hab ich umgebracht.
Selbst wenn ich denk, daß ich schon gestern war,
bin ich erst heute abend zugereist.
Von meinem Schädel ist das letzte Haar
zu einem blanken Mond vereist.
Ich habe kaum ein Feigenblatt, es anzuziehn ...
ich, überall verehrt und angespien.

Ich habe dennoch soviel Mut zu hoffen,
daß mir sehr bald die ganze Welt gehört,
und stehn mir wirklich alle Türen offen,
schlag ich sie wieder zu, weil es mich stört,
daß ich aus vollen Schüsseln fressen soll.
Die Würmer sind schon toll nach meinem Bauch,
ich bin mit Unglück bis zum Halse voll
und bleibe unter dem Holunderstrauch,
auf den noch nie ein Stern herunterschien,
François Villon, verehrt und angespien.

François Villon (1431 – nach 1463), Nachdichtung von Paul Zech
 
Weil ich es gerade auf einer Reinhard Mey - Platte geört habe
und es mich berührt hat.

Bedenkt

Bedenkt, dass jetzt um diese Zeit, der Mond die Stadt erreicht.
Für eine kleine Ewigkeit sein Milchgebiss uns zeigt.

Bedenkt, dass hinter ihm ein Himmel ist,
den man nicht definieren kann.
Vielleicht kommt jetzt um diese Zeit
ein Mensch dort oben an.
Und umgekehrt wird jetzt vielleicht
ein Träumer in die Welt gesetzt.
Und manche Mutter hat erfahren,
dass ihre Kinder nicht die besten waren.

Bedenkt auch, dass ihr Wasser habt und Brot,
dass Unglück auf der Straße droht,
für die, die weder Tisch noch Stühle haben
und mit der Not die Tugend auch begraben.

Bedenkt, dass mancher sich betrinkt,
weil ihm das Leben nicht gelingt,
dass mancher lacht, weil er nicht weinen kann.
Dem einen sieht man's an, dem andern nicht.

Bedenkt, wie schnell man oft ein Urteil spricht.
Und dass gefoltert wird, das sollt ihr auch bedenken.
Gewiss ein heißes Eisen, ich wollte niemand kränken,
doch werden Bajonette jetzt gezählt und wenn eins fehlt,
es könnte einen Menschen retten,
der jetzt um diese Zeit in eurer Mitte sitzt,
von Gleichgesinnten noch geschützt.

Wenn ihr dies alles wollt bedenken,
dann will ich gern den Hut, den ich nicht habe, schwenken.
Die Frage ist, die Frage ist,
sollen wir sie lieben, diese Welt?
Sollen wir sie lieben?
Ich möchte sagen, wir wollen es üben.

Hanns Dieter Hüsch
 
Passt auch irgendwie zum heutigen Tag.

Wieder ein guter Tipp für heute Abend ;).
Diese wunderbare Live-CD wird hoffentlich nicht seine letzte sein.
 
Der Schöpfung Meisterstück

Gott schuf die Welt vor alten Zeiten,
Zuletzt vom Mann ein Exemplar,
Und das schien freilich anzudeuten,
daß Gott schon etwas müde war!

Und als er sein Geschöpf beaugte,
Da fehlte dies, da fehlte das,
Und an dem ganzen Manne taugte
Nur eine einzige Rippe was.

Die ward ihm auch noch abgenommen
Und eine Frau daraus gemacht;
So sind wir später zwar gekommen,
Jedoch geschaffen mit Bedacht.

Und zu der Frau'n gerechtem Lobe
Erkennt man auf den ersten Blick:
Der Mann war nur ein Stück zur Probe,
Wir aber sind das Meisterstück! :smiley_da

Aus: Luise Holle (Hrsg.), Im Deutschen Hause. Ein Ratgeber und Helfer für das gesamte häusliche Leben der deutschen Familie, Bd. 2, S. 661, Hanau 1904

Das Gedicht (ohne Verfasserangabe) ist eines unter vielen, die dazu gedacht sind, bei fröhlichen Geselligkeiten deklamiert zu werden. Die Feministinnen des ausgehenden 20. Jahrhunderts haben für geschilderten Vorgang bekanntlich eine kürzere Formulierung gefunden: "Als Gott den Mann erschuf, übte sie (!) nur." :D
 
Es gab eben immer Einzelne, die ihrer Zeit voraus waren! :smi_klats

Allerdings. Ich möchte deshalb hier auf ein Gedicht von Theodor Fontane hinweisen: "Das Trauerspiel von Afghanistan":

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
"Wer da?" - "Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan."

Afghanistan! Er sprach es so matt,
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie Iabt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

"Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt."

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all',
Sir Robert sprach: "Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So laßt sie's hören, daß wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter blast in die Nacht hinaus!"

Da huben sie an und sie wurden's nicht müd',
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen - es kam die zweite Nacht,
Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.

(Der Schriftsteller Theodor Fontane (1819 - 1898) leitete in London als Auslandskorrespondent 1855 - 1859 die im Auftrag des preussischen Ministerpräsidenten Otto Freiherr von Manteufel erscheinende deutsch-englische Korrespondenz. Mit dieser Ballade beschreibt er 1857 den katastrophalen Ausgang des ersten der drei anglo-afghanischen Kriege (1839 - 1842). In diesem Konflikt versuchten Briten und Russen die koloniale Vorherrschaft in Zentralasien zu erringen)
 
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