Wenn ich als Kind von meiner Oma hörte, es habe Läden gegeben, in denen es "alles" gab, hielt ich das für eine Einrichtung in grauer Vorzeit.
Von so einem Laden "bei uns im Dorf" erzählte sie, aber auch vom "Tietz" (Administrator: Link existiert nicht mehr.) in Köln, einem Geschäft, das ein ganzes Haus umfaßte. Da ich (1938 geboren) oft von Dingen hörte, die ich nicht kannte, die es aber angeblich "vor dem Krieg" gegeben hatte, hielt ich das für tiefste Vergangenheit. (Manches davon habe ich auch nicht geglaubt.) Vorstellen konnte ich es mir nicht; in unserer Kleinstadt waren die Geschäfte schon spezialisiert: Bäcker, Metzger, Fischladen, Papiergeschäft, Drogerie, Haushaltswaren, Schuhgeschäft, Kleidergeschäft, usw. Es schien mir selbstverständlich, daß man beim Einkaufen von einem Laden zu anderen gehen mußte.
Mit zehn Jahren dagegen wurde ich zu Verwandten in ein hessisches Dorf geschickt. Die Verwandten betrieben den einzigen Laden im Dorf. Er schien mir recht groß, und offenbar gab es da wirklich alles. Wenn man reinkam, war links die Lebensmittelabteilung; geradeaus gab es z.B. Seife, Nähgarn, Zopfspangen, allerlei Bänder, etwas weiter rechts waren die flachen Stoffballen gestapelt, und je weiter man nach rechts kam, desto unverständlicher waren mir die Dinge, die es dort gab: Werkzeuge, Eisenwaren ... nur an Gummistiefel, Harken und Spaten erinnere ich mich aus diesem Teil des Ladens, den ich gewöhnlich keines Blickes würdigte. Meine Tante schien ständig ein hölzernes Treppchen hier- und dahin zu schieben und raufzuklettern, weil die oberen Regale anders gar nicht zu erreichen waren. Ich ging nicht gern in den Laden, er war so dunkel – dunkles Holz, schlechte Beleuchtung, die großen Schaufenster hatten zum Laden hin geschlossene Rückwände, nur durch die Ladentür kam Tageslicht ins Innere. Auch schien mir alles furchtbar vollgestopft. So sahen die Geschäfte, die ich kannte, nicht aus.
Der Laden wurde irgendwann in den 70er Jahren geschlossen; die Besitzer waren alt, hatten keine Kinder, und vermutlich gab es inzwischen auch schon einen Supermarkt mit Parkplatz am Dorfrand. Vor etwa 10 Jahren hat eine junge Frau die alten Ladenräume "reaktiviert" – sie hat ein Café darin eingerichtet. Es war wohl eine Eintagsfliege; heute gibt es im Internet keinen Hinweis mehr darauf.
@ Ulrike: In diesem Laden stand, direkt der Tür gegenüber, auch der Schubladenkasten mit Gütermann-Nähseiden auf der Theke. Im Internet gibt es noch viele Kästen dieser Art; ein Link lohnt nicht, weil es fast alles zeitlich befristete ebay-Angebote sind, aber wenn du "Gütermann Nähseide Kasten" (oder "Schrank") googelst, findest du eine reiche Auswahl davon.