Auch die deutsche Wochenzeitung
"Die Zeit" berichtet in der aktuellen Ausgabe vom 14. Juli 2010 unter dem Titel "Stollen für den Sieg" über das Tiroler Bergwerk auf der Alpeiner Scharte.
Hier ein paar Zitate aus dem exzellenten Artikel von Florian Gasser:
Stollen für den Sieg
Hoch in den Tiroler Alpen errichteten die Nazis ein Bergwerk, um einen kriegswichtigen Rohstoff zu fördern
Nebelschwaden ziehen über die Gebirgskette, nur vereinzelt stechen Spitzen und Kanten hervor. Im Tiroler Valsertal, südlich von Innsbruck, wo die Gipfel über 3000 Meter in die Höhe ragen, liegt auf der Alpeiner Scharte in den Zillertaler Alpen ein vergessenes Stück NS-Geschichte vergraben: ein verlassenes Bergwerk inmitten von Geröllhalden und Lawinenstrichen. 18 Quadratkilometer groß war die Anlage, vom Stollen, knapp unter der Gletschergrenze, bis hinunter in das Tal. Große Hoffnungen wurden einst in dieses Projekt gesetzt; schließlich endete es in einem Fiasko.
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Auch auf der Alpeiner Scharte versprach sich die Reichsstelle für Bodenforschung großes Potenzial. Bereits 1774 hatte der Tiroler Kartograf Peter Anich in seinem Tagebuch von einem »glänzenden Metall« berichtet, das er dort, knapp unter der Gletschergrenze auf 2800 Meter Höhe, entdeckt habe. Doch niemand hatte sich auf das Abenteuer eingelassen, in einer Region, in der es sogar im Hochsommer zu Schneegestöber kommen kann, ein Bergwerk errichten zu wollen. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Mangel jede Vernunft außer Kraft setzte. Nun prophezeite der Geologe Oskar Schmidegg von der Universität Innsbruck in einem Gutachten für das Reichsamt für Bodenforschung, das Gebirgsmassiv würde 840 Tonnen Molybdän bergen – ein Schatz, auf den die Kriegsmaschinerie der Nazis meinte nicht verzichten zu können.
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Während die Arbeiten immer weiter fortschritten, wurde bald klar, dass nicht einmal annähernd jene verheißenen 840 Tonnen Molybdän in der Alpeiner Scharte zu finden sein würden. Immer wieder wurden die Schätzungen nach unten korrigiert, bis schließlich nur noch 34,5 Tonnen übrig blieben. Eine spätere Untersuchung der Montanuniversität geht davon aus, dass auch diese Zahl noch viel zu hoch ist.
Bereits 1942 empfahl deshalb das Wirtschaftsministerium die Einstellung der Arbeiten im Valsertal und wies auf die Möglichkeit einer »völligen Fehlinvestition« hin. Doch die Wehrmacht drängte darauf, weiterzumachen. Als im Sommer 1944 noch immer kein Gramm gefördert worden war, wollte das Rüstungsministerium in Berlin, das inzwischen von Albert Speer geleitet wurde, das taube Bergwerk aufgeben. Doch dazu kam es nicht. »Warum weitergemacht wurde, wissen wir noch nicht genau«, sagt Thomas Brandt, der sich in seiner Diplomarbeit an der Universität Innsbruck mit dem Nazistollen beschäftigt. »Es wurde schon so viel Geld hineingepulvert, dass man sich vielleicht dachte, jetzt ziehen wir das auch durch.«
Fast verbissen wurde die Plackerei fortgesetzt. Immer neue Arbeiter wurden in das Tal verlegt, damit der Betrieb aufrechterhalten werden konnte. Wie viele Menschen tatsächlich beschäftigt waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Der junge Historiker Johannes Breit, der sich seit Schülertagen mit der merkwürdigen Schatzsuche beschäftigt und Archive im ganzen deutschsprachigen Raum dazu durchforstet hat, schätzt, dass bis zu 350 Menschen durchgehend an dem Projekt arbeiteten. Davon waren lediglich 50 Deutsche, der Rest waren Zwangsarbeiter. 200 waren in Vals sogar polizeilich gemeldet, darunter auch italienische Facharbeiter, die freiwillig gekommen waren, im September 1943 allerdings auf den Status der Ostarbeiter herabgestuft wurden. Kein Lohn, schlechtere Ausrüstung und härtere Arbeiten.
Erst drei Jahre nachdem das Projekt in Angriff genommen worden war, fiel die Mühe des täglichen Aufstieges durch die Errichtung einer Stollensiedlung fort. Doch dort lebten die Arbeiter gefährlich: Am 11. November 1944 donnerte eine Staublawine den Berg hinab und verschüttete die Baracken, die mitten im Lawinenstrich standen. 22 Personen kamen ums Leben, vor allem russische Arbeiter. Das Lawinenunglück war ein herber Rückschlag. Die Arbeit kam fast vollständig zum Erliegen.
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Der hochalpine Wahnwitz mündete in einem wirtschaftlichen und menschlichen Desaster: Fünf Millionen Reichsmark verschlang das Projekt, zumindest zwei Dutzend Menschen ließen ihr Leben. Kein Gramm Molybdän von der Alpeiner Scharte härtete je deutschen Stahl. »Das Bergwerk erzählt viel über die unglaublich träge nationalsozialistische Bürokratie«, sagt der Innsbrucker Wirtschafts- und Sozialhistoriker Wolfgang Meixner. Warum 1989 die in Vergessenheit geratene Aufbereitungsanlage im Tal vom Bundesheer gesprengt wurde, weiß niemand genau zu sagen. Aus »Sicherheitsgründen« hieß es damals. »Die Anlage war vielen ein Dorn im Auge. Vor allem, als damals wieder die Frage der Zwangsarbeiter aufkam. Und natürlich ist die Beseitigung aller Spuren auch eine Form der Vergangenheitsbewältigung«, sagt Meixner. Über die Schicksale der Zwangsarbeiter, die seinerzeit die Förderstätte in den Fels schlugen, ist bis heute fast nichts bekannt.
Man muss im Valsertal einen genauen Blick auf die Landschaft werfen, um jetzt noch Spuren der Molybdänsucher zu entdecken. Einzig ein Hakenkreuz auf einer Steinmauer am Straßenrand gibt noch Kunde über die Erbauer.
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Inhaltlich haben sich bei diesem Artikel ein paar ganz kleine Fehler eingeschlichen, die aber die wichtige Aussage des Artikels in keiner Weise beeinträchtigen.
"Das höchstgelegene Bergwerk Europas", die Aussage des Industriearchäologen Prof. Gerhard Stadler von der Technischen Universität Wien ist mit Sicherheit falsch... Gleich nebenan in Tirol ist ein weiteres Bergwerk in dieser Höhe (
Bergwerk Tösens / Platzertal - 3.000m), weiters der Bergbau Schneeberg (Südtirol - 2.200 - 2.500m), Rossrugg (Zillertal, Tirol - 2.700 - 3.300 m), weiters in den Salzburger Bergen (Lungau; Bergbau Goldzeche - 3.100 m) und im Kaukasus...
Über die anderen Molybdänbergwerke im zweiten Weltkrieg in Österreich ist bis dato so gut wie nichts bekannt, auch in Tirol gab es noch ein weiteres.
"eine sechs Kilometer lange Standseilbahn" stimmt nicht. Es handelte sich um eine 4,9 km lange Umlauf-Seilbahn, die längste Standseilbahn im Bergbau bzw Bremsberg Europas ist die heute derzeit noch in Betrieb befindliche wesentlich ältere
Laaser Marmorbahn im Südtiroler Vinschgau.
"Mehrere Hundert Arbeiter, ein Großteil Zwangsarbeiter aus Osteuropa, schleppten ein kilometerlanges Starkstromkabel auf den Berg" - diese Aussage ist an der Zählung nicht haltbar und widerspricht sich ohnehin später im Artikel. Laut dem von Johannes Breit veröffentlichten Foto dürfte es sich um ca. 50 Personen handeln - diese haben zweifellos eine gigantische Zwangs-Arbeit verrichtet, konnte doch keiner von ihnen bei Schwerstarbeit über viele Stunden keine Pause machen. Dieses Foto gehört zweifellos zu den beindruckendsten (und schrecklichsten) Bildern in der Alpingeschichte.
"Als im Sommer 1944 noch immer kein Gramm gefördert worden war, wollte das Rüstungsministerium in Berlin, das inzwischen von Albert Speer geleitet wurde, das taube Bergwerk aufgeben." - Zu dieser neuen These möchte ich ganz gerne mal einen Beleg sehen, weder bei Johannes Breit als auch in sonstigen Quellen kenne ich einen diesbezüglichen Hinweis.
"...dass bis zu 350 Menschen durchgehend an dem Projekt arbeiteten. Davon waren lediglich 50 Deutsche, der Rest waren Zwangsarbeiter. 200 waren in Vals sogar polizeilich gemeldet." - Hierzu ist der Hinweis von Johannes Breit zu ergänzen, dass Zwangsarbeiter überhaupt nicht polizeilich gemeldet wurden. Weiters sollten diese Daten wirklich exakt wissenschaftlich untersucht werden, was natürlich nicht Aufgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" ist bzw. heute kaum mehr möglich sein wird. Die Anzahl "200 gemeldete Personen" ist wohl kummulativ über die Jahre zu sehen, und betrifft vor allem Italiener und Deutsche. In den Wintern werden vermutlich wohl sehr wenige 'freiwillig' im Bergbau gearbeitet haben etc. Auch die Motivation 'freiwillig' wäre auf Grund der Meldezettel und hoffentlich noch eintreffenden Zeitzeugenberichten oder von deren Angehörigen zu hinterfragen.
"Warum 1989 die in Vergessenheit geratene Aufbereitungsanlage im Tal vom Bundesheer gesprengt wurde, weiß niemand genau zu sagen. Aus »Sicherheitsgründen« hieß es damals. »Die Anlage war vielen ein Dorn im Auge. Vor allem, als damals wieder die Frage der Zwangsarbeiter aufkam. Und natürlich ist die Beseitigung aller Spuren auch eine Form der Vergangenheitsbewältigung«, sagt Meixner." - Diese Aussage vom Fachkollegen Prof. Wolfgang Meixner müsste mehrfach unterstrichen werden - niemand kann oder will hier in Tirol eine Antwort geben...
Wolfgang (
SAGEN.at)