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Hexenprozesse

Habe ein interessantes Buch aus dem letzten Urlaub mitgebracht:
Die Hexen von Werdenfels, von Fritz Kuisl. Hexenwahn im Werdenfelser Land,
rekonstruiert an Hand der Prozeßunterlagen von 1589 - 1596. Verlag Adam,
Garmisch-Partenkirchen. Dieses Buch im Kleinformat hat 60 Seiten und
führt namentlich 51 hingerichtete Hexen auf, eine gute und beeindruckende
Recherchenarbeit. - Ulrike
 
Auch in Köln gab es einen bekannten Hexxenprozeß.
Die Vorgeschichte war, das jemanden zu Lebzeiten das Amt des Postmeisters zugesprochen wurde. Im Gegensatz zu der Familie von Thurn und Taxis war das Amt aber nicht erblich. So haben die Kinder Ihren Vater heimlich begraben und erzählt, das der Vater auf reisen ist. Das der Vater aber ohne Beistand und Spende mit / an die Kirche begraben wurde, die Anschuldigungen von der Konkurenz, beherrten Frauen in einem Kloster, und so weiter brachte die Kinder in das Verlies und später aufs Schafot und Scheiterhaufen.
 
Du meinst sicherlich den Fall Katharina Henot(h) in Köln, 1627.
Darüber findet sich vieles im internet! Es gab auch einen Roman darüber,
Verfasser fällt mir im Moment nicht genau ein. -Ulrike
 
In Lemgo steht an der Nicolaikirche ein Gedenkstein für den Pfarrer
Andreas Koch. Er war ein Gegner der Hexenprozesse und setzte sich
für die angeklagten Frauen ein. Kurzerhand enthauptete man ihn!-
In Blomberg wurde die junge Bürgersfrau Alheyd als Hexe zum
Feuertod verurteilt. Sie soll nach Ostern 1460 geweihte Hostien aus der
Pfarrkirche St. Martin gestohlen haben. Aus Angst vor Entdeckung warf sie
diese dann in einen Brunnen. Der Brunnen wurde zum Wunderbrunnen, der
Landesherr ließ sogar einen Altar über de Brunnen und eine Kirche daneben
errichten. Die Blomberger Wallfahrt brachte einen großen Pilgerstrom vor Ort.-
Im Kloster Falkenhagen hielt sich Friedrich Spee von Langenfeld
auf, der durch sein Werk "Cautio Criminalis" berühmt wurde.
Diese drei Orte im Lipperland stehen in Verbindung mit der Geschichte der Hexenverfolgung . Man kann sie auf einem Pilgerweg besuchen.
Infos unter: https://www.pilgern-in-lippe.de/3040-0-38
Ich wurde darauf aufmerksam durch einen Artikel in der UK (Ev.
Wochenzeitung) -Ulrike
 
ich wundere mich auch immer wieder über diese Zeit, wie es sein kann, dass die Menschen so dumm waren. Nur Dummheit holt solche derben Aktionen ins Leben wie Menschen zu verbrennen und niemandem mehr zu trauen, immer den Nächsten im Auge zu haben der verfolgt werden soll...schreckliche Zeit.
 
dass die Menschen so dumm waren
Das ist eine ziemlich überhebliche Einstellung...

Die Menschen zu dieser Zeit waren keinesfalls "dumm"!

Sie hatten gesellschaftliche Regeln, die uns in Mitteleuropa aus heutiger Sicht nun ungewohnt erscheinen. Warum es vorübergehend zu diesen Regelungen gekommen ist, ist ein äußerst komplexes Thema.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Aber auch hier muss man sich fragen:

wem nützte es?

Viele Hexenprozesse wurden aus rein habgierigen, politischen Beweggründen oder zur Machtsicherung (nicht zuletzt der Kirche) angestrengt.

Was uns als Rohheit erscheint, war Teil des Lebens - und Sterbens, damals. Da wurde kein Aufhebens gemacht.
Außerdem war das "niedere Volk" ohnehin nur "Material". Der kluge Herr achtete aber darauf sein "Material" nicht zu arg zu schwächen, war er doch von seiner Arbeitskraft abhängig.

Ich für meinen Teil bin sehr sehr froh, nicht dieser Willkür und dem Aberglauben der damaligen Zeit ausgesetzt zu sein.
 
Ja, wir können uns wirklich glücklich schätzen, in dieser Zeit und Region zu leben, doch auch wenn es ein anderes Thema ist, sollten wir nicht vergessen, dass die meisten Kriege auch heute die gleichen Motive und Hintergründe haben. Das Mittelalter ist aus den Menschen scheinbar nicht heraus zu bringen, auch wenn die sogenannten Hexen inzwischen für Märchen und Gruselgeschichten gut sind.
 
Bei uns im Ort sind etliche Hexensagen bekannt, es wurden aber bisher
keinerlei Dokumente und Prozeßakten gefunden. Es wäre schon erstaunlich,
dass es keine Prozesse gegeben haben soll, wo ringsumher "die Hexen
brannten". Es gab 3 große Stadtbrände, vielleicht verbrannten dabei auch
die Unterlagen? Noch weiß man es nicht genau! -Ulrike
 
Vor einigen Tagen in der Tagespresse wieder ein schrecklicher Bericht über
Hexenverbrennungen in Afrika/Mali. Mehrere Menschen wurden mit Benzin
übergossen und lebendig verbrannt. Man mag es kaum glauben! -
Menschliche Knochen, vor allem von"Albinos", würden immer noch von
Wunderheilern in Teilen Afrikas benutzt. --
Ulrike
 
Zum Thema Albinismus bekam ich vor Kurzem ein Infoblatt von
Amnesty International: Menschen mit Albinismus müssen in Malawi
in ständiger Angst leben. der Grund ist ein weitverbreiteter Aberglaube. ...
"Wunderheiler" behaupten, dass Knochen oder Körperteile dieser Menschen
Glück bringen ... Man weiß gesichert von mindestens 18 Getöteten (seit 2014).
Ich wußte nicht, dass die Zahl der von Albinismus Betroffenen
tatsächlich in die Tausende geht und die Regierung wenig unternimmt, um sie
zu schützen. -
Ulrike
 
Vielleicht wäre es ja ein ganz guter Schutz, erst mal den Aberglauben und diese "Wunderheiler" zu bestrafen.
 
Im Ort Großfahner: 1667 Hexenprozeß gegen Martha John. Sie wird auf dem
Scheiterhaufen verbrannt.1668 wird Christine Eckardt mit dem Schwert hingerichtet. -Ulrike
 
Nach langer Zeit zum Thema, ein Bericht von "Missio" zum Internationalen Tag
gegen Hexenwahn(10. Aug., ich wußte bisher nichts davon):
In 41 Staaten sind Menschen (Frauen, Männer, Kinder) in Gefahr, als Hexen/Hexer
verfolgt u. getötet zu werden. Besonders in Papua-Neuguinea, Ghana,Kongo,
Indien u. Südafrika. Es soll sogar einzelne Fälle in den USA, Italien u. England
gegeben haben. In den letzten 60 Jahren fielen mehr Menschen dem Aberglauben
zum Opfer als in den ca 350 Jahren der europ. Hexenverfolgung zusammen.
Erschreckend u. unglaublich! -Ulrike
 
Zum Thema passend:

Streitt, Ute / Kocher, Gernot / Schiller, Elisabeth (Hg.)
Schande, Folter, Hinrichtung
Forschungen zu Rechtsprechung und Strafvollzug in Oberösterreich
Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra
ISBN 978-3-901862-30-4
Herausgegeben von den OÖ. Landesmuseen
Linz 2011
599 Seiten

Kapitel "Hexenprozesse in Oberösterreich - Ein Überblick"
Martin Scheutz
Seite 81-91

Seite 83:
Eine traurige Bilanz - Die in Oberösterreich in Hexenprozessen Hingerichteten

Schon im Jahre 1934 führte der steirische Rechtshistoriker Fritz Byloff (1875-1940) 1.700 Personen (seine Schätzung belief sich auf insgesamt 5.000 Angeklagte) - "zum allergrößten Teil [...] Todesopfer" - für das heutige Bundesgebiet (Anm.: österreichische Länder) an. Ulrike Schönleitner gab 1987 auf der Grundlage des damaligen Forschungsstandes für das heutige Bundesgebiet zumindest 882 Todesurteile in Hexen- und Magieprozessen an, wobei der Anteil der Frauen denjenigen der Männer leicht überwog. Nach den hier tabellarisch teils auf eigenen Forschungen, teils auf neuerer Literatur fußenden Berechnungen lassen sich für das heutige Bundesgebiet zumindest 965 Hinrichtungen (ohne das "quellenarme" Wien) erschließen. Wolfgang Behringer schötzte schon recht zutreffend rund 1.000 Hinrichtungen im Zuge der Hexenverfolgung für das heutige Österreich, wobei sich der späte Verfolgungshöhepunkt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (mit Ausläufern ins 18. Jahrhundert) aus dem "Hof-Land-Gegensatz", wo relativ autonome Provinzen gegen den Willen der höfisch dominierten Zentralregierung am Hexenparadigma festhielten, ergab. Die vor allem im bereich von verstreuten Einzelprozessen zu vermutenden Aktenverluste und der uneinheitliche Forschungsstand lassen aus meiner Sicht für das heutige Bundesgeiet zumindest 1.200 - 1.500 Hinrichtungsopfer wahrscheinlich erscheinen.

Auf europäischem Maßstab muss man die Hexenverfolgung in den heute österreichischen Ländern (mit Ausnahme der Steiermark und Salzburgs) als vergleichsweise gering einschätzen. Es bleibt der weiteren Forschung vorbehalten, die Ursachen hierfür auszumachen: etwa ob in den österreichischen Ländern die Hexerei "primär als maleficium und nicht als Satanskult verstanden wurde", ob das mehrstufige Kontrollsystem der landgerichtlich geführten Prozesse dem "crimen exceptum" bzw. dem Ausnahmerecht ("processus extraordinarius") Einhalt gebieten konnte und daher der Umfang der Hexenverfolgung limitiert blieb.

Seite 84:
Auszug Tabelle 1: Verfolgungsbilanz für die österreichischen Länder

Territorium / Mindestzahlen Hinrichtungen / letzte Hinrichtung

Steiermark / 355 / 1744-1746
Kärnten / 88 / 1723
Niederösterreich / 46 / 1696
Oberösterreich / 78 / 1732
Salzburg / 217 / 1750 (Allein "Zauberer Jackl-Prozess" 133, davon 38 Frauen 95 Männer)
Tirol / 72 / 1722
Vorarlberg / 95 / 1651
Burgenland / 14 / 1723
Wien / - / -

Summe 965

Seite 85:
Auszug Tabelle 2: Hinrichtungstabelle von Hexenprozessen für Oberösterreich 1570 - 1732

Zeitraum / Frauen / Männer

1570-1600 / 1 / 3
1601-1650 / 2 / 9
1651-1700 / 16 / 30
1701- 1732 / 9 / 8

Summe 1570-1732 / 28 / 50
 
Hexenprozesse zogen sich in Norddeutschland - wenn auch nicht vor Strafgerichten ausgetragen - noch bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hin. Dabei ging es v.a. um Rufmord, Verleumdung, üble Nachrede - kurz: Mobbing: die Hühner legten keine Eier mehr und/oder die Kühe gaben keine Milch. Daran musste jemand schuld sein! Und zwar jemand anderes! Das Vieh sei verhext worden, mit dem Bösen Blick, mit Bösen Hexereisprüchen. Am besten aus dem 7. und 8. Buch Mose. Die Schuld wurde bevorzugt Schwächeren gegeben, Randständigen, sehr gerne alleinstehenden Frauen.
Aber es gab Leute, die das nicht hingenommen haben, die Hilfe nicht nur anboten, deren Hilfe auch angenommen wurde. Einer davon war der Lehrer und Volkskundler Johann Kruse. Kruse argumentierte nicht nur, legte sich mit Dörflern, Behörden und auch den Kirchen an, er besorgte engagierte Rechtsanwälte, die energisch vor Gericht gegen solche Auswüchse vorgingen.
Wer heute durch die Archive lokaler und regionaler Tageszeitungen aus der Zeit zwischen dem 2. Weltkrieg und Ende der 70er Jahre klickt findet immer wieder Annoncen, die immer den gleichen Wortlaut haben: "Ich, Person ABC erkläre hiermit öffentlich, dass die von mir am Tage DD-MM-Jahr gemachten Äußerungen über die Person XYZ unwwahr sind. Ich, Persön ABC erkläre hiermit, dass ich meine falschen Äußerungen mit dem Ausdruck des größten Bedauern zurück nehme."

Johann Kruse ist eine äußerst interessante, aber auch in Teilen sehr widersprüchliche Person. Sein Vermächtnis und sein Lebenswerk befindet sich im Hamburger Völkerkundemuseum und wird derzeit in die Bestände der Hamburger Staatsbibliothek eingegliedert.

 
Nach längerer Zeit etwas zu diesem Thema: Westfalen war neben Bayern ein Zentrum der Hexenverfolgungen. Einer der Männer, die sich diesem Treiben entschieden entgegenstellten war Johann Weyer, Arzt und Humanist. Er wurde 1515 geboren und starb 1588. Er wurde beeinflußt von dem
Arzt und Universalgelehrten Cornelius Agrippa von Nettesheim, dieser wiederum ein Freund von erasmus von Rotterdam. Johann praktizierte als Arzt an dem vom humanistischen Geist durchdrungenen Hof Herzog Wilhelms V. von Kleve-Jülich. Im Ruhestand folgte er einer Einladung des protestantischen Grafen von Tecklenburg zu einer Reise durchs nördl. Münsterland. Er verstarb auf der Tecklenburg. - Seiner Zeit war er weit voraus, so verfaßte er ein bahnbrechendes medizinisches Werk, natürlich zunächst in lateinischer Sprache. Es wurde bald ein Standardwerk, erschien auch in
Deutsch. Bedeutend und sein größter Verdienst: sein mutiger Kampf gegen die Verfolgung unschuldiger Männer und Frauen auf der Grundlage des
"Hexenhammers", indem Urängste der Bevölkerung , Teufelsglaube usw. geschürt wurden. "Über die Blendwerke der Dämonen", diese Schrift erschien bereits 1563, in der er den Hexenglauben verdammte. Neben den "aufgeklärteten" Niederlanden und blieb nun auch Jülich-Berg-Kleve
weitgehend verschont von den aufflammenden Hexenverfolgungen. Das Gegenteil fand sich im kurkölnischen SAuerland, wo besonders viele Scheiterhaufen brannten. In dem "Hexennest" Lemgo( übrigens Hansestadt) wurden von ca 5000 Einwohnern mehr als 200 "Hexen" hingerichtet .
Insgesamt schätzt man , dass ca 100 00 Menschen dem Hexenwahn geopfert wurden. Erst im Zeitalter der Aufklärung verschwand aus den Gesetzen das Delikt "Zauberei". Weyer war ein Wegbereiter! In Tecklenburg steht noch der nach ihm benannte "Wierturm" - Ulrike
 
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