Gerade habe ich eine Ortssage aus der Wesermarsch gefunden, die L. Strackerjahn im 19. Jahrhundert aufgezeichnet hat:
"In der Nähe von Ovelgönne (westlich von Brake/Unterw., der Verf.) lassen sich am Sieltief sieben feurige Kerle sehen, falsche Landvermesser, die im Grabe keine Ruhe haben"
Quelle: Ludwig STRACKERJAHN (Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg; zweite erweiterte Aufl., herausgegeben v. Karl Willoh 1909, Bd I: S.225).
Nachbarschaftliche Grenzstreitigkeiten spielten in früheren Jahren eine erhebliche Rolle und brachten, wie ich bereits in vorherigen Beiträgen erwähnt habe, gewaltigen Unfrieden in die Dörfer, die oft über Generationen anhielten. Ähnlich schwerwiegend, wie das Bestechen der Landvermesser wog auch das sogenannte 'Abpflügen' von Land. Hierbei handelte es sich um einen sukzessive erfolgenden Landdiebstahl. Auch hierzu finden sich zwei Ortssagen aus dem Oldenburger Land:
"Auf dem Löninger Esch vor Burlagen Fuhrenkamp (Landkreis Cloppenburg, der Verf.) geht des Nachts ein glühender Pflug. Es hat einer dort vor Zeiten fremdes Land abgepflügt und muss nun mit dem Pfluge wiedergehen."
Quelle: Ludwig STRACKERJAHN (Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg; zweite erweiterte Aufl., herausgegeben v. Karl Willoh 1909, Bd I: 225)
Eine dritte Ortssage stammt aus Vielstedt, Gemeinde Hude im Landkreis Oldenburg:
"In Vielstedt, Kirchspiel Hude, sieht man nachts auf dem Feld einen Pflüger. Mann, Pflug und Oferd sind feurig. Der Mann ist ein früherer Bauer, welcher nun so umgehen muss, weil er bei seinen Lebzeiten seinen Nachbarn Land abpflügte."
Quelle: Ludwig STRACKERJAHN (Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg; zweite erweiterte Aufl., herausgegeben v. Karl Willoh 1909, Bd I: S.226 )
Die drei Sagen habe alle eines gemeinsam: jedes Mal wird die Spukerscheinung als 'feurig' - niederdeutsch 'gloinig' bezeichnet. Gloinig oder Feurig sind Attribute, die oft dem Teufel zugeschrieben werden (de gloinig Düvel). Spuk wird im oldenburgischen Volksaberglauben oft mit Verbrechen und schweren Sünden in Verbindung gebracht. Hierzu gehören nicht nur Mord, Betrug, Meineid, und Religionsfrevel, sondern auch explizit nach Strackerjahn (S.214) falsches Messen der Händler, Müller und Landvermesser sowie Grenzverrückungen der Bauern. Wer sich solche Sünden hat zu schulden kommen lassen, geht nach seinem Tode um. Je nach schwere der Sünde können sie entweder von Lebenden erlöst werden - oder nicht. Im letzteren Fall werden sie zu Teufelsgenossen und schließlich zu Dämonen selber: ihnen ist der Weg ins göttliche Paradies für immer versperrt (STRACKERJAHN 1909, Bd. I: 221).
Von der Interpretation her würde ich persönlich diese Sagen als Mahnungen ansehen: Wer sich schwerwiegende Sünden hat zu Schulden kommen lassen, die möglicher weise andere über Generationen hin schädigt, wir nach seinem Tode nicht erlöst, sondern erfährt dafür eine schwere Strafe. Der in Flammen stehende Mensch erfährt ungeheure Schmerzen - bis in alle Ewigkeit und man sagt, dass er diese Strafe zurecht bekommen hat und ihn niemand erlösen kann. Gab es früher eine bessere Abschreckung - denn eine Versetzung des Grenzsteines war vor der staatlichen Landesaufnahme mit ihren trigonometrischen Punkten und ihrem standardisiertem Vermessungsnetz, das auf festen Koordinaten beruhte sehr schwer nachzuweisen - und der über Jahre hin erfolgte systematische Landdiebstahl durch Abflügen fast überhaupt nicht. Da war die Prohezeihung der ewigen Qualen nach dem Tode als Abschreckung doch wohl zuweilen ein wirksames Mittel.
Noch ein kleiner Hinweis: das ehemalige Großherzogtum Oldenburg ist konfessionell seit dem Reichsdeputationshauptschluss konfessionell zweigeteilt. Als Entschädigung für den seit dem 17. Jahrhundert von Bremer Schiffen erhobenen Weserzoll bei Elsfleth erhielt das Land die Flächen des ehemaligen Niederstifts Münster mit den heutigen Landkreisen Cloppenburg und Vechta - einer heute noch erzkatholischen Region. Während Hude und Ovelgönne zum protestantischen Nordoldenburg gehören, liegt Löningen im katholischen Süden.