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Die Straßenbahnen des Grauens

Es geht weiter ...

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Ich stelle mir gerade einen Filmtitel vor:

"Die Straßenbahn des Grauens."

Welch nette gemütliche Situation:

Um Mitternacht allein in einer Straßenbahn mit zwei angetrunkenen Schlägern, die trotz fortgeschrittenem Alter noch recht kräftig mit ihren Krücken zuzuschlagen vermögen - und auf der Suche nach einem neuen Objekt ihrer Schlagkraft sind!

Da kommt Stimmung auf - wie man so sagt!

Vor meinem geistigen Auge erschien schon diese Schlagzeile im Lokalteil der "Badischen Neuesten Nachrichten":

Rotkreuzkräfte retten ruhigen Reisenden vor robusten rasend-rüstigen Rentnern.

Mit der Frage in der Unterzeile:

Rehabilitation ratsam?

Doch ging dieser Kelch an mir vorüber.

Mein Dank an die Götter! Bacchus oder Dionysos - wer immer auch an jenem Abend gerade Dienst hatte!

Die Straßenbahn füllte sich so langsam- und die rüstigen Rentner fanden andere Gesprächspartner, an denen sie im Bedarfsfall ihre Krücken ausprobieren konnten!

Die Straßenbahn fuhr los!

Meine Erzählung könnte hier zu Ende sein - wenn ich nicht noch an einer gottverlassenen Haltestelle hätte umsteigen müssen!
 
Diese Haltestelle des Grauens ist sogar im Internet zu finden:

http://ka.stadtwiki.net/Entenfang

Was der Link nicht sagt:
Es sind da zwei Haltestellen.
Die eine auf einm sehr belebten Platz mit - viel Traffic jeder Art.
Die andere Stelle ist in einem finsteren Niemandsland, wo sich noch nicht mal Fux und Haas "Gut Nacht!" sagen, wenn es Nacht ist!


Und es war Mitternacht, und weder Fux noch Haas zu sehen! Typisch mal wieder! Wenn man sie braucht, sind sie nie da!


Ich stand da ganz alleine rum - oder fast ganz alleine.

Nur ein Mitreisender war da - und er saß. Auf der Bank.
Er sah aus, als hätte er schon lange gesessen.
In einer Justizvollzugsanstalt vielleicht.
Sollte ich mich zu ihm setzen?


Meine innere Stimme sagte: "NEIN! Mach das nicht!"
Dazu muss ich erklären, dass ich gewöhnlich "Du" zu mir sage, denn ich kenne mich ja schon länger.


Mein Mitreisender saß da und sagte gar nix.

Aber sein Outfit war vielsagend.

Es verkündete dezent, dass Deutschland den Deutschen gehören sollte, und Ausländer doch bitte so nett sein mögen, das Land zu verlassen.

Ob ich da als Zeichen meines guten Willens nicht wenigstens diese deutsche Haltestelle hätte verlassen sollen?

Oder - was meint ihr?
 
Dazu muss man nun wissen, dass ich fast auf der ganzen Welt für einen Einheimischen gehalten werde - außer in Deutschland.

In Schottland bin ich ein Schotte, in Frankreich ein Franzose, in Spanien ein Spanier, und auch die Moslems in Sibirien haben mich dort in ihrer Moschee für einen der Ihrigen gehalten.

Nicht so in Deutschland!

Da gelte ich meist als Grieche, gerne auch mal als Perser, Afghane, oder auch Saudi-Araber.

Kongolese war ich bisher noch nicht, aber ich arbeite bereits dran!

Das Schönste war, wie ich kurz nach dem Einzug im Vorgarten meines Hauses stand, und eine neue Nachbarin vorbeikam.

Freundlich sagte sie zu mir: "Sie sind aber kein Deutscher, gell?"

Ich ließ das mal offen und frage zurück, was ich denn wohl sei.

Da outet sie mich als einen Rumänen. Zigeuner sagte sie jetzt nicht, dachte es aber vielleicht. Wer weiß?

Sie selber kam übrigens aus der Ukraine ....

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Es war also zu erwarten, dass mein Freund auf der Bank früher oder später auf mich zukommen würde, um mir freundlich, aber bestimmt, anzuraten, ich solle doch bitte dahin verschwinden, wo ich herkäme! Nach Ägypten oder Palästina! Aber gaaaaanz schnell bitte!



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Dass ich in Deutschland so oft für einen Ausländer gehalten werde, ist ein klein wenig paradox.

Denn: Gibt es jemand, der einheimischer wäre, als ich? Kaum.

Durch meine Ahnenforschung weiß ich, dass alle meine Vorfahren seit dem Dreißigjährigen Krieg - und wohl auch davor - immer nur eines waren: Mittelbadische Winzer.

Warum nur werde ich dann für einen Griechen gehalten?

Ich denke, das geht auf die griechischen Legionäre zurück, die damals zu Caesars Zeiten an den Oberrhein gekommen sind.

Vielleicht waren es aber auch Ägypter? Wer weiß?

Mein mitternächtlicher Ausländerfreund hätte also mit einem gewissen Recht zu mir sagen können: Geh zurück nach Ägypten, woher du gekommen bist!

Und ich hätte dann vielleicht erwidert: Gerne! Können Sie mir sagen, welche Straßenbahn ich da nehmen muss?
 
Es geht weiter .....

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Während ich da so stand und wartete, ging mir eine ähnliche Situation durch den Kopf.

Diese Geschichte könnte ich vielleicht nennen:

"Die Unterführung des Grauens!"

Es war zu fast mitternächtlicher Stunde, als ich in einem Karlsruher Vorort auf eine Straßenbahn wartete.

Nicht mit einem Ausländerfeind zusammen, sondern mit einer Horde angetrunkener Jugendlicher.

Sie redeten oder besser schrien lautstark miteinander. Offenbar stand eine gepflegte Prügelei kurz vor dem Ausbruch.

Ich hielt Abstand, denn bei solchen Prügeleien kommt es leicht auch zu Nebenschäden bei Unbeteiligten. Oder "collateral damage", wie die amerikanische Bomberflotte es so schön und treffend formuliert.

Die rüstigen Rentner lassen grüßen!

Man schaut in solchen Fällen besser gar nicht so genau hin! Sonst heißt es: "Was kuckstu?"

Und schon hat man eine über dem Schädel! Oder "in der Fresse" , um beim Sprachgebrauch zu bleiben.

Früher hatte das noch mehr Stil. Da hieß es kühl: "Mein Herr! Sie haben mich fixiert! Ich schicke Ihnen meine Sekundanten! Bevorzugen Sie Pistole oder Säbel?"

Dann traf man sich im Morgengrauen am Waldesrand, mit oder ohne Feuer! Das heißt, man feuerte schon! Schoss sich so e bissl tot! Romantisch, irgendwie! *träum*

Die Duelle sind auch nicht mehr das, was sie mal waren!

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Um einem solchen modernen Duell zu entgehen, dachte ich, es sei vieleicht besser, auf der anderen Seite der Gleise zu warten, und dann eben schnell wiederzukommen, wenn die richtige Bahn heranfahren würde.

Und so ging ich die Steintreppen hinunter in den Untergrund.

In die Unterführung des Grauens ......
 
ich hoffe es war einigermaßen hell.
der Urin/Biergeruch steigt mir jezt schon in die Nase.
 
Mein erster Besuch dort war relativ kurz.

Ich begegnete dort einem Pärchen des Grauens. Die beiden kamen auf mich zu, und der Mann fragte mich irgend etwas Belangloses. Es war klar, er fragte nur, um irgendeinen Kontakt herzustellen, nach Art der Bahnhofspenner. Meine Antwort, die ebenso belanglos war, nahm er dann zum Anlass, einen Streit vom Zaun zu brechen. Seine Begleiterin schaute ihn dabei anhimmelnd an.

Nun war es zufällig gerade nicht mein streitlustiger Tag. Ich verabschiedete mich also nett und trat einen geordneten Rückzug an, die Steintreppen wieder hinauf. Die streitlustigen Jugendlichen dort schienen mir auf einmal irgendwie sympathisch, sympathischer jedenfalls als dieses streitlustige Pärchen des Grauens.

Die Situation am Bahnsteig hatte sich aber noch nicht entspannt, sondern eskalierte weiter. Die streitlustigen Jugendlichen waren inzwischen noch streitlustiger geworden. Ich hielt mich in sicherer Entfernung von den Randalierern, und sie hielten sich in sicherer Entfernung von mir. Sie hatten ja genug mit sich zu tun, und brauchten im Moment kein weiteres Zielobjekt für ihre Schlägerei. Noch nicht ......


Ich wartete eine Weile, bis ich annehmen konnte, das streitlustige Pärchen in der Unterführung des Grauens habe sich inzwischen verzogen. Zum zweiten Mal also ging ich die Steintreppen hinunter in den Untergrund.

Doch auf dem halben Weg schon hörte ich ein bestimmtes Geräusch, das mich davon abhielt, weiterzugehen.
 
Es war das klar erkennbare Geräusch, das dann entsteht, wenn Bierflaschen mit Schwung gegen eine Wand geschleudert werden, und dort mit lautem Knall zerbersten.

Andere Bierflaschen kullerten anscheinend auf dem Boden herum.

Ich stellte mir mal die passende Lautsprecherstimme dazu vor:

*kling*

Achtung, Achtung!

Eine wichtige Durchsage des Karlsruher Verkehrsverbunds (K V V)

Auf der Bahnstrecke Karlsruhe - Stutensee ist die Unterführung in Höhe Hagsfeld auf Grund einer privaten Feier vorübergehend gesperrt.

Vorsicht, freifliegende Bierflaschen!

Es kann zu Schnittverletzungen kommen.

Reisende, die den gegenüberliegenden Bahnsteig erreichen wollen, werden gebeten, die Schienen oberirdisch zu überqueren, wenn gerade kein Zug einfährt.

Falls doch ein Zug einfährt, wünschen wir Ihnen viel Glück!

Im Bedarfsfall informieren wir gerne ihre Hinterbliebenen.

Dies ist ein kostenloser Service der Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) im Verbund mit der Deutschen Bahn AG (DB).

Bitte empfehlen Sie uns Ihren Freunden und Bekannten, ggfalls auch Ihren Hinterbliebenen.

Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt und eine gute Nacht!

Ihr Karlsruher Verkehrsverbund (K V V)



*kling*
 
Ich hielt also einen Moment inne und überlegte.

Sollte ich weitergehen, mitten ins das Bierflaschengewitter hinein?

War es ratsam?

Einerseits: Vielleicht hätten die netten Damen und Herren in der Unterführung mich ja auch freundlich zu ihrer privaten Feier eingeladen.

Es hätt vielleicht rotes Erlauer Stierblut und einen feinen Kalterer See aus der Zwei-Literflasche gegeben, bis zum Abwinken, wie man so sagt!

Und es wär am Ende noch ein richtig gemütlicher Abend geworden?

Andererseits: Vielleicht auch nicht?

Nun, diese Chance hab ich verpasst, indem ich die Treppe dann wieder hinauf ging.

Die Streitlustigkeit der Jugendlichen hatte sich inzwischen nicht vermindert, eher stetig erhöht.

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Da geschah etwas Neues:

Aus dem mitternächtlichen Dunkel schälte sich langsam eine Truppe von Fremden heraus, die Schritt für Schritt näher kamen .....

Was mochten sie im Schilde führen?
 
Aus dem Dunkel also nahte sich ein Trupp Menschen!



Ich hatte die Hoffnung, es mögen friedliche Bürger sein, so wie ich.

Doch nein! Es war eine Verstärkung für die streitenden Jugendlichen! Deren Zahl war nun doppelt so hoch!

Doch der Streit löste sich durch die Neu-Ankömmliche in Wohlgefallen auf. Sie waren nämlich alle weiblich!

Man fiel sich gegenseitig um den Hals, teils auch zu Boden dabei.

Und dann verschwand der ganze Spuk in einem Haus in der Nähe!

Man hatte gar nicht auf die Straßenbahn gewartet, sondern auf die Freundinnen, um da draußen irgendwo Party zu feiern!


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Nun war ich allein an der Haltestelle.

Und schon bald fuhr eine der weltberühmten Karlsruher Straßenbahnen heran: Groß und geräumig, hell erleuchtet, gut beheizt!

Und bereit, mich mit nach Hause zu nehmen.

Ende gut, alles gut?

Noch nicht!
 
gut geheißt hat ja bei der Bahn einen zweideutige Bedeutung.
Aber es ist ja noch früh am Morgen, da wird schon nichts passieren, oder ???
 
Es war so:

Erleichtert stieg ich in die Straßenbahn ein, in dem Glauben, nun sei der Abenteuer-Abend vorbei.

Doch ich kam vom Regen in die Traufe!

Die Straßenbahn war eine Kombination von Unterführung und Haltestelle.

Auf dem Boden waren mehrere Bierlachen, und leere Flaschen rollten ständig hin und her.

Ein paar Sitzreihen weiter vorne saßen volle und lebende Flaschen:

Betrunkene Jugendliche, die lautstark gröhlten und stritten und lärmten und herumhampelten ... und ... und .. und ...

Und ich war nun mit ihnen gefangen!

Sonst war niemand im Abteil ....

Schaffner gibt es ja schon längst nicht mehr, und Fahrer kümmern sich kaum darum, was in ihrer Bahn so passiert.

Ich blieb gottergeben so lange auf meinem Platz sitzen, bis die Bahn die Innenstadt erreicht hatte.

Dort stieg ich auf dem belebten Marktplatz aus und nahm eine andere Linie!

Und erst in dieser Linie dann hatte das Grauen ein Ende! :)
 
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