Der Atomausstieg im Alleingang bringt dramatische Folgen
Von Rainer Hampel
Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Essays, Kommentare und Analysen zu aktuellen Themen. Texte, die aus der ganz persönlichen Sicht der Autoren Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen. Heute: Der Energietechnik-Experte Rainer Hampel hält den Ersatz der abgeschalteten Kernkraftwerke durch die Verbrennung von Kohle und Gas für nicht akzeptabel. Der politisch motivierte Ausstieg lässt die Folgen für Ressourcen und Klima unberücksichtigt.
Mit dem gestern vom Bundestag beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie wird das bisher sehr gut funktionierende Energieversorgungssystem vorsätzlich zerstört. Warum? Wem nutzt das? Subventionen und Einspeisevergütungen führen zu enormen Gewinnsteigerungen für wenige Unternehmen und Banken. Die Kosten trägt der Steuerzahler. Über die vernichteten Arbeitsplätze wird nicht gesprochen.
Ich bleibe dabei, Deutschland kann auf die Nutzung der Kernenergie nicht verzichten, wenn die Ressourcen geschont werden müssen und der Wohlstand auch in Entwicklungsländern angehoben werden soll, und das bei steigender Bevölkerungszahl. Daran hat sich auch nach dem Störfall in Fukushima nichts geändert.
Deutschland kann ohne dramatische negative Folgen nicht im Alleingang aus der Kernenergienutzung und Kohleverstromung aussteigen. Die weitere Verbrennung von Kohle, Gas und Erdöl ist für folgende Generationen wegen der dringenden stoffwirtschaftlichen Nutzung nicht akzeptabel, schon gar nicht der massive Ausbau von Erdgaskraftwerken.
War die prognostizierte Klimakatastrophe doch nur Mittel zum Zweck, oder ist nun kein „Umweltkiller“ mehr?
Kern- und Kohlekraftwerke sichern mit hoher Effizienz die Grundlast für elektrische Energie, sie wurden und werden weiter ertüchtigt, große Anteile der Regellast zu übernehmen, die durch stochastische Angebote der Wind- und Solarenergieanlagen erzwungen werden. Allerdings sind damit ein erheblicher Wirkungsgradverlust und eine Kostensteigerung verbunden.
Dass Katastrophen wie in Fukushima zu einer Überprüfung der Sicherheit aller Kernkraftwerke führen, ist eine in Deutschland seit Jahrzehnten praktizierte Normalität. Zuständig dafür sind die Gesellschaft für Reaktorsicherheit, die Reaktorsicherheitskommission und der TÜV. Die Feststellung, dass die Kernkraftwerke unterschiedlich gegenüber gezielten terroristischen Flugzeugabstürzen geschützt sind, ist nicht neu. Sie sind aber auch nicht sicher gegenüber Angriffen mit bunkerbrechenden Waffen. Wie soll also das Level festgelegt werden? Nach der Flutkatastrophe in Hamburg wurden die Dämme erhöht und nicht Hamburg abgerissen!
Wenn der gezielte Flugzeugabsturz das „nicht zu akzeptierende Risiko“ darstellt, dann müssen sofort alle Kernkraftwerke und Chemieanlagen beseitigt werden und über Deutschland ein Flugverbot eingerichtet werden. Alles andere ist Heuchelei.
Deutsche Kernkraftwerke sind sicher. Das haben die 40Jahre Betriebserfahrungen gezeigt. Es gibt aber nichts, was man nicht noch besser machen kann. Wir haben in Deutschland die höchste Sicherheitskultur. Es ist fatal, wenn wir deutsche Kernkraftwerke abschalten und „Atomstrom“ aus Nachbarländern importieren, die nach Meinung von „grünen“ Politikern eine niedrigere Sicherheitskultur aufweisen. Es ist schon schlimm genug, dass Deutschland in der Internationalen Atomenergiebehörde kaum noch verantwortungsvolle Funktionen ausübt und damit jeder Einflussnahme beraubt ist.
Dass nun auch noch Unternehmen, die in die Erhöhung der Sicherheit investiert haben, durch die Abschaltung bestraft werden, ist mehr als ein Vertrauensbruch.
Das Dilemma ist, dass wir in Deutschland viel zur Erhöhung des Gefährdungspotenzials von Kernkraftwerken politisch bedingt beigetragen haben. So wurde ein Verbot zur Kernbrennstoffaufbereitung durchgesetzt. Damit ist die Reduzierung des radioaktiven Abfalls nicht möglich und auch nicht die vollständige Nutzung des Plutoniums. Die abgebrannten Brennelemente mit Plutonium und Resturan müssen in Zwischenlagern in der Nähe von Kernkraftwerken gelagert werden, relativ ungeschützt.
Was läuft also falsch in der Diskussion um eine zeitgemäße Energiepolitik? Einige Medien habe eine ihrer wichtigsten Aufgaben vernachlässigt, nämlich seriöse Information zu vermitteln und die Meinungsbildung dem Bürger zu überlassen. Immer mehr kommen in den Medien „Experten“ zu Wort, die vorsätzlich falsche Informationen verbreiten.
So sollen die notwendigen Stromimporte nicht aus Kernkraftwerken stammen. Woher aber sonst? Es wird auch behauptet, dass die Versorgungssicherheit nach Abschaltung der Kern- und Kohlekraftwerke nicht beeinträchtigt wird. Was ist aber, wenn die Sonne nicht scheint, kein Wind weht und eine Übertragungsleitung ausfällt?
Es wird behauptet, dass durch den Bau der Wind- und Solarparks neue Arbeitsplätze geschaffen werden, die Zahl der vernichteten Arbeitsplätze wird und fehlende Steuereinnahmen werden nicht einmal abgeschätzt.
Am schlimmsten für mich war die Behauptung von Joschka Fischer, dass die Befürworter der Kernenergienutzung die Weiterverbreitung der Atomwaffen befördern. Es sollte doch Herrn Fischer als ehemaligem Außenminister bekannt sein, dass alle kernwaffenbesitzenden Staaten die Atombomben ohne Kernkraftwerke beschafft haben.
Ich gebe auch zu bedenken: Die Katastrophe in Japan war das Erdbeben und der Tsunami mit 28000 Todesopfern. In der Folge kam es zu dem katastrophalen Störfall in Fukushima, nicht umgekehrt.
Natürlich sind aus dem katastrophalen Störfall Lehren zu ziehen. Der Totalausfall der Notstromversorgung und die Zerstörung der Infrastruktur, wie sie bisher nur in Kriegen vorkam, muss bezüglich seiner Folgen genau analysiert werden. Danach könnten begründete Entscheidungen über Stilllegung und Neubau getroffen werden. Bezüglich der auslösenden Ereignisse in Form von Naturkatastrophen sind weiterführende Analysen und daraus abgeleitet Vorsorgemaßnahmen zu realisieren. Ob dabei der gezielte Flugzeugabsturz das dominierende Ereignis sein muss, ist zweifelhaft.
Am wichtigsten ist aber, dass sich Deutschland wieder nachhaltig in die Forschung und Entwicklung neuer Reaktorkonzepte, in denen die Kernschmelze sicher beherrscht oder ausgeschlossen wird, in denen passive Notkühlsysteme auch ohne Stromversorgung die Kühlung des Reaktors sichern, einbringt. Mit dem Potenzial, das wir noch haben, wäre das ein echter Beitrag zur nachhaltigen Elektroenergieversorgung und zum Umweltschutz. Es ist doch eine ganz normale technische Entwicklung, dass veraltete Anlagen abgeschaltet werden. Die deutsche Politik hat aber dafür gesorgt, dass neue innovative Kohle- und Kernkraftwerke nicht zur Kompensation errichtet werden konnten. Mit Planungszeiten oberhalb von zehn bis zwölf Jahren kann kein Energiekonzept realisiert werden. Wenn dann aber auch noch das Konzept, das eine Wirkungszeit von 30 bis 40 Jahren hat, innerhalb von einem Jahr dreimal grundsätzlich geändert wird, dann führt das zu einem wirtschaftlichen Desaster.
Die politisch motivierte Abschaltung der Kernkraftwerke ist vor allem auch unter Berücksichtigung des Energiekonzeptes vom Oktober 2010 unverantwortlich bezüglich der Reduzierung des Ressourcenverbrauchs, der Versorgungssicherheit und eines wirtschaftlich vertretbaren Strompreises. Die Umsetzung des Vorhabens, aus der Kernenergienutzung und der Kohleverstromung auszusteigen, wird an den nicht vorhandenen Materialressourcen scheitern.