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Unterschied zwischen ätiologischer Sage und Mythos?

W.Bernstein

New member
Hallo liebe Forumsmitglieder,

ich beschäftige mich z.Zt. im universitären Rahmen mit dem Thema Bernsteinerzählungen (BA-Arbeit). Ich habe mich entschieden mein Material nach Gattungen zu ordnen, nun aber festgestellt, dass ich mir nicht sicher bin, worin sich eine ätiologische Sage von einem Mythos unterscheidet.

Es geht mir speziell um die Einordung von zwei Erzählungen. Einmal um den „Phaeton-Mythos“, der u.a. bei Ovid in den Metamorphosen überliefert ist. Zum anderen um den litauisch-polnischen Erzählstoff „Jurate und Kastytis“, der erst im 19. Jahrhundert aufgezeichnet worden ist.

Falls jmd. nachlesen möchte, hier sind die Links zum Inhalt:
http://www.jgiesen.de/astro/planets/ovid/ovid2.htm
http://www.sagen.at/texte/sagen/litauen/jurate_kastytis.html

Auch nach der Lektüre der Artikel „Mythos“ und „Ätiologie“ in der Enzyklopädie des Märchens, bin ich mir des Unterschieds nach wie vor nicht sicher. Eine genaue definitorische Abgrenzung ist wahrscheinlich auch nicht möglich. Trotzdem würde mich Eure Meinung dazu interessieren.

Eine ätiologische Sage erklärt ja i.d.R. die Entstehung geographischer/regionaler/landschaftlicher Besonderheiten. Aber auch der Mythos ist von explikativem Charakter. In ihm geht es meines Wissens jedoch eher um die Entstehung von wichtigen Kulturgütern. Daher würde ich die Entstehungsgeschichten um den Bernstein eher als Mythen einordnen.
Gleichzeitig ist aber zumindets in der Religionswissenschaft (mein Nebenfach)ein wichtiges Charakteristikum des Mythos, dass mit ihm rituell gehandelt wird/wurde. Das lässt sich bei meinen Erzählungen jedoch nicht nachweisen. Besonders bei der im 19. Jh. aufgezeichneten Erzählung „Jurate und Kastytis“ ist ein rituelles Handeln extrem unwahrscheinlich.
Des weiteren kommt hinzu, dass ich mit Mythen Erzählungen verbinde, die aus der „grauen Vorzeit“ eines Volkes stammen. (Weiß nicht mehr genau, wo ich diesen Terminus her habe, muss jedoch immer an ihn denken, wenn es um Mythen geht.) Eine Erzählung, die erst im 19. Jh. aufgeschrieben worden ist, erscheint mir daher etwas jung um ein Mythos zu sein.?.
Da in beiden Erzählungen aber vorchristliche Götter vorkommen (bei Jurate und Kastytis ist das Perkun(as), bei Phaeton „Sol/Helios“) berichten sie eben doch aus der „Urzeit“ eines Volkes, in der menschliche und göttliche Sphäre noch nicht getrennt gedacht wurden. Das würde wiederum für eine Einordnung als Mythos sprechen.
Für die Einordnung als Sage spricht bei „Jurate und Kastytis“ die späte Aufzeichnung.

Ich tendiere zur Zeit eher dazu die Erzählungen als Mythen einzuordnen und damit das rituelle Handeln als Kriterium rauszuwerfen.

Es wäre toll, wenn Ihr mir dazu Eure Meinung mitteilen würdet. Einfach um die Problematik mal ein bisschen zu diskutieren, mit der ich durch meine BA-Arbeit zum ersten Mal in Berührung gekommen bin.

Inwiefern wäre nach Eurer Meinung die Nutzung von Zwischenkategorien wie „Sage mit mythologischen Zügen“ sinnvoll?

Und falls jmd. evtl. noch etwas Zeit oder Interesse hat mir seine Meinung über einen Text im angehängten PDF-Dokument Kund zu tun, wäre ich hocherfreut. (Es stammt von der Seite kaszubia.com/de) Auf S. 6 der PDF befindet sich eine Erzählung mit dem Titel „Der Schatz Kaschubiens“, in der es um die Erschaffung dieses Landes geht. Zentrale Handlungsträger sind Gott und ein Engel. Es handelt sich aber nicht um eine Legende, die ja eher als Heiligenvita zu verstehen ist (siehe EM). Zur Zeit tendiere ich eher zur Einordung als Sage. Ich finde aber die Unterscheidung: heidnische Götter = Mythos (wie bei Phaeton und „Jurate und Kastytis“), christlicher Gott = Sage zu offensichtlich oder simpel. Ich denke jedenfalls, dass man das nicht so einfach machen kann.?.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr mir weiterhelft.

Liebe Grüße
W.Bernstein
 

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Hallo W. Bernstein,

deine Frage ist sehr umfassend und tiefgründig und noch dazu sehr speziell. Auch wenn ich zur Baltischen Erzählforschung nicht eingelesen bin, möchte ich auf ein paar Fragen eingehen.
Ich gehe davon aus, dass deine Arbeit im deutschsprachigen Raum abgegeben wird und da möchte ich zu bedenken geben, dass manche Völker ihre Erzählungen nicht in Märchen und Sage trennen. Werden diese Texte nun von uns in Kategorien geordnet, dann sind das reine 'Kopfgeburten' und es werden immer Ungereimtheiten auftreten, ein schönes Beispiel dafür sind die Ladinischen Dolomitensagen.

Die Sage von Jurate und Kastytis soll laut Wikipedia erst 1842 verschriftlicht worden sein, dem würde ich nachgehen, vielleicht steckt hier ja doch etwas 'Altes' dahinter?


Das sich Jurate in dem Text auf SAGEN.at in Kastytis verliebt, erinnert mich sehr an die Melusinensage (Nixe) und da es noch dazu verschiedene Versionen von den beiden geben soll, tendiere ich zur Sage.

Lutz Röhrich (Märchen und Wirklichkeit, 1956) unterscheidet die ätiologische Erzählung in:

- die geglaubte Urspungssage
- die nur unterhaltende Ätiologie
- die Ätiologie als bloße Spielform

Der Text "Der Schatz Kaschubiens" ist sicher kein Mythos, er liegt nach meiner Sicht eher zwischen Sage und Schwank. Mir sind beim Lesen ähnliche Erzählungen zu Tirol und den Tirolern und dem Heimweh eingefallen, die ich aber den Sagen zuordne, da sie eine verbreitete Erzähltradition haben.

Ich hoffe, dass sich noch andere zu diesem Thema äußern werden, welches ich sehr spanned finde. Am wichtigsten wird aber das Gespräch mit deinem Betreuer sein!

Zum Blitze werfenden Donnergott sind mir übrigens die "Donnerkeile" eingefallen, die man ebenfalls am Strand finden kann.

Beste Grüße,

Berit
 
Danke für die kaschubischen Märchen! Zum Thema kann ich mich nicht äußern,
denn so eine "Fachfrau" bin ich nicht. Jedenfalls viel Erfolg und Grüße von Ulrike
 
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