Dort, wo die Donau nach ungefähr 1400 km ihres Laufes ausgeruht angelangt, dort im Dreieck der Pannonischen Tiefebene, wo Ungarn, Kroaten und Vojvodjanen (Serbien) ihre Grenzen ziehen, wo Russen, Weißrussen, Rumänen, Slowaken, Slowenen, Ungarn, Bulgaren, Roma, Kroaten, Serben, Donaudeutsche (Donauschwaben) und noch viele andere Völker und unterschiedliche Nationalitäten zusammen in Frieden leben, dort wo sich in der Sommerhitze bei jedem Schritt der Staub von der Straße erhebt und sich im Regen in schlammige Pfützen verwandelt, dort wo wunderschöne Herrschaftshäuser und Kirchen aus verschiedenen Epochen auf neuen Putz warten, und wo die Bewohner auf den Dörfern und Bauernhöfen ihre Häuser liebevoll und pedantisch mit rundherum unter den Dachrinnen zum Trocknen aufgehängter roter Paprika, mit Maiskolben und Knoblauch, Knoblauch und nochmals Knoblauch schmücken – er hängt dort überall, nicht nur draußen an den Häusern, sondern auch drinnen in den Stuben, was vielleicht der Nähe zu Transsylvanien geschuldet sein mag
-, dort wo die Gänse in den Gassen frei rumlaufen dürfen und wo das Hundegebell niemanden stört, nicht weit vom östlichen Donauufer, dort befindet sich ein wunderschönes, verschlafenes Städtchen namens Sombor... und dort entstand mein Foto.
Lebendige Begeisterung verspürte ich, als ich das renovierungsbedürftige, fast verfallene Haus sah... verwirrt war ich, als ich die Sonnenuhr mit der Inschrift "Eine von diesen ist deine letzte" sah. Was für eine gruselige Inschrift, dachte ich mir... warum wird man dran erinnert, dass uns die letzte Stunde
unhörbar schlagen wird? Ist es eine Warnung vor der Vergänglichkeit, vor der Unausweichlichkeit des Todes, vor der Endlichkeit des menschlichen Lebens? Und so fotografierte ich das Haus und die Sonnenuhr aus allen Winkeln, dabei dachte ich über diesen Sarkasmus nach ... und, ich lachte, ich fand die Inschrift immer witziger, ich lachte lange, auch als ich um die Ecke in eine andere Straße verschwand, wo andere Dinge meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, lachte ich immer noch.
Ein paar Wochen später zu Hause, als ich mir das Foto noch einige Male ansah, stellte ich fest, dass die Sonnenuhr nicht die einzige Attraktion ist; sie ist zwar die Größte, aber nicht die Einzige. Es gab für mich immer wieder etwas Neues zu entdecken auf dem Foto, und ich schaute auf die Tür an dem Haus unter der Sonnenuhr und vergrößerte sie, in der Hoffnung, dass ich in dem offenen schwarzen Loch etwas erkennen könnte, und ich erinnerte mich an den Duft, der aus dem Loch damals herauskam, es duftete nach frischgebackenem Brot. Das schwarze Loch, das war der Eingang in die Bäckerei. Es ist nicht so, dass sich alle Bäcker in dem Städtchen, dort, wo sie ihre Brote und Zuckersachen backen und verkaufen, hinter schwarzen Löchern wie diesem befinden, es gibt auch moderne Einrichtungen mit polierten Glastheken, in denen man ordentlich gestapelte Brezeln und Kipferln sieht, oder, wie man dort sagt: Perec und Kifla, in kyrillischer Schrift sieht das dann so aus: Brezel - перец, und Kipferl - кифлa. Nicht zu übersehen und zu überhören ist dort der Einfluss der deutschen Sprache. Viele Wörter, die man dort benutzt, kamen ins Land mit den deutschen Siedlern, den so genannten Donauschwaben, und im Laufe der Zeit veränderten sie sich, wurden zu einem ganz besonderen Slang, und somit vor dem Verfall gerettet.
Die Bäckerei in dem schwarzen Loch unter der Sonnenuhr mit der gruselig-sarkastischen Inschrift in zwei Sprachen (Serbokroatisch und Ungarisch) war wie eine Tür in eine andere Welt... eine Tür in eine andere Zeit. Wie gerne würde ich einen Spaziergang in diese andere Zeit machen, in die Zeit, als die Inschriften auf der Fassade noch frisch und unbefleckt waren, frei von den nichtssagenden Schmierereien der Graffiti-Sprayer, die als Vandalen zu bezeichnen eine - wie man heute weiß - Beleidigung dieses untergegangenen Volkes wäre.
Die Sonnenuhr befindet sich an der Mauer des römisch-katholischen Pfarrsaals aus dem Jahr 1763. Das Foto habe ich an einem sonnigen Herbsttag 2009 kurz vor 11 Uhr gemacht!