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Stillgelegte Salpeterfabrik in Innsbruck

manni

Member
Im äußersten Süden von Innsbruck, in unmittelbarer Nähe eines Wasserkraftwerks der Innsbrucker Kommunalbetriebe, befindet sich eine seit einigen Jahrzehnten stillgelegte Salpeterfabrik. Nachdem die Forumssuche dazu nichts gefunden hat, mache ich mal diesen Thread darüber auf.

Das Gelände ist recht groß und die Bildausbeute ebenso, ich werde die gestern entstandenen Bilder der Erkundung erst in den nächsten Tagen auswerten können.

Deshalb erst mal nur diese drei Fotos als Teaser, sie zeigen das Innere eines der zahlreichen Nebengebäude:

IMG_2819.jpg


IMG_2822.jpg


IMG_2835.jpg


Detail am Rande: vom Gelände der Fabrik gab es einst eine Standseilbahn hinauf zur Brennerbahn. Davon haben wir keine sofort als solche erkennbaren Relikte gefunden, wir haben allerdings auch nicht intensiv danach gesucht. Das wird wohl mal eine separate Erkundung.
 
Hallo Manni,

wunderbare Bilder! Toll!

Eines der wenigen im Originalzustand erhaltenen Industrieensembles in Tirol. Ich kenne das Gelände auch, allerdings dachte ich es handle sich um eine ehemalige Drahtzieherei, was mir vor allem wegen dem runden Turm plausibel erschien:

Planseewerke_Patsch.jpg


Es gibt eine wirtschaftshistorische wissenschaftliche Arbeit zu dieser Anlage, ich werde versuchen, diese aufzutreiben.

Dass es eine Standseilbahn zur Brennerbahn gab, ist mir neu! Das überrascht mich sehr, da mir in keiner Publikation zur Brennerbahn ein Hinweis begegnet ist.

Spuren einer möglichen Standseilbahn dürfte es vermutlich keine mehr geben, da der Berg östlich der Industrieanlage am Anfang der 1960er Jahre im Zuge des Autobahnbaus massiv umgesiedelt wurde.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Hi Wolfgang,

viel mehr als das Geschriebene weiß ich noch nicht über die Anlage; ich habe von einigen Personen gehört, dass es eine Salpeterfabrik gewesen sein soll, auch in diesem Artikel https://www.zeit.de/2011/18/A-Urban-Exploration wird das erwähnt, ist dort allerdings auch "nur" die Aussage einer Urban Explorerin, die das vielleicht bloß von jemandem gehört hat (sie sagt selbst dass sie zu den Orten, die sie besucht, eher nicht recherchiert).
Es wäre also schon möglich, dass es eine Drahtzieherei war - oder beides?

Zur Standseilbahn: ein Bekannter von mir vermutet, dass sie auf diesem Plan als strichlierte Linie zu sehen sein könnte und zu einem Verladeplatz am Nordportal des darüber befindlichen Brennerbahntunnels verlaufen ist (siehe rote Pfeile):
1_stasesalpeterfabr1952_1.png


Hier ist der Originalplan von 1952: (Admin: externer Link existiert nicht mehr)
 
Tja, einmal darfst Du raten, wer bei dem Zeit-Artikel beraten hat... :)
Alle handelnden Personen in diesem Artikel sind hier im Forum tätig.

Also werde ich diese peinliche Wissenslücke schließen müssen. Ich denke, in ein paar Tagen haben wird das Ergebnis.

Wegen der Standseilbahn bin ich ebenso am Recherchieren, da bin ich nach wie vor überrascht.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Ich bin schon gespannt darauf, was du herausfinden kannst. Ich versuche derweil ebenso, mehr Informationen zu bekommen.
 
Nachdem ich hier einige madig gemacht habe, meine Quelle:

Gleich die Erste Nennung im Google
https://www.auer-von-welsbach-museum.at/images/Kundendaten/Geschichte-Chem/S/Salpeterwerk Patsch.pdf
vom Dorfchornistzen in Patsch,Oswald Wörle, und zwei wiss. CO-autoren (Univ. Doz. Dr. Gerhard Pohl, Werner Kohl) 2008


"Das Produkt, die flüssige Salpetersäure, ein echtes Gefahrengut, wurde in große Tonkrüge (Tourilles) gefüllt und
mittels einer kurzen Seilbahn zum 30 m höher gelegenen Verladegleis der Brennerbahn transportiert."

Ob es aber wirklich eine Standseilbahn war - das ist nur einen Vermutung meinerseits - da die Tonkrüge für die Säure recht klobig sind.
 
Wie ich leider den heutigen Medien entnehme, ist das Hauptgebäude des Industrieensembles gestern abgebrannt.

(externer Link existiert nicht mehr)

Bezeichnenderweise kann man den beiden Pressetexten den Umgang Tirols mit Technikgeschichte und Industriegeschichte entnehmen: es ist nur von "alter Lagerhalle" die Rede und nicht von einem Kulturdenkmal. Das Gebäude hätte heute wegen "Einsturzgefahr" geräumt werden müssen, was darauf hindeutet, dass es vermutlich noch diese Woche abgerissen worden wäre. Nach dem Feuer wird es nach meiner Einschätzung ebenso diese Woche noch abgerissen...

Manni, damit dürften Deine Fotos die historisch letzten Aufnahmen des intakten Gebäudes sein! :smiley_da

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Ich hab's auch grad gesehen. :(
Im Video sieht man, dass es sich um das zentrale Gebäude handelt. Das war auch an allen Seiten verriegelt gewesen und wurde südseitig offenbar als Garage genutzt. Ich habe es von der Nord- und der Westseite fotografiert, wegen der Gegenlichtsituation sind die Aufnahmen von der Nordseite aber nicht besonders gut geworden.
Hoffentlich werden nun nicht auch all die anderen Gebäude plattgemacht, die teilweise zumindest äußerlich in wesentlich schlechterem Zustand waren.

Noch zur Standseilbahn: ein Bekannter hat mir heute bestätigt, dass diese existierte. Vor einigen Jahren konnte er vor Ort noch die Rampe zur Bahnstrecke und erkennbare Relikte der Bergstation finden! Ich werde mich beizeiten nochmal dorthin begeben, um das zu dokumentieren.
 
Hier mal drei Bilder des inzwischen abgebrannten Gebäudes.

So präsentierte sich das zentrale Gebäude am Eingang des Geländes vom Sillwerk her:

2618-19-20_hdr.jpg


Das zentrale Gebäude von der anderen Seite her gesehen (hinten in der Mitte). Es gibt dort eine Geländekante, und das Gebäude überspannt diese, es ist mehrstöckig, was man von vorne aber nicht erkennt:

2731-32-33_hdr_bw.jpg


Von der Westseite sieht man ebenfalls, dass das Gebäude mehrstöckig ist:

2161-62-63_hdr.jpg


Weitere Fotos folgen bald.

Ich habe außerdem vor, demnächst nochmal hinzugehen und nachzusehen, was noch von dem zentralen Gebäude übrig ist. Auf dem Gelände gibt es neben den hier abgebildeten noch mehr Gebäude: ein kleineres, langgestrecktes Gebäude mit unbekanntem Zweck, zwei große und ein kleines Wohnhaus, eine weitere, kleinere Halle, eine große Fabrikshalle, ein Schachtbauwerk auf der Rückseite dieser Fabrikshalle und möglicherweise noch mehr, was wir gar nicht gesehen haben.
 
Ein industriegeschichtlich interessierter guter Bekannter hat bereits in der Vergangenheit Recherchen zu dem Werk angestellt, er hat sich unter anderem auch mit älteren AnwohnerInnen unterhalten (in der Nähe des Geländes gibt es zwei kleine Wohnsiedlungen). Er schreibt:

Im Werk gegenüber den Sillwerken der Stadt Innsbruck wurde Molybdän verarbeitet, Es wurde zuerst nur für die Glühfaden der Lampen benötigt, war aber später ein wichtiger Bestandteil für die Herstellung von Röhren, welche das deutsche Heer in den Funkanlagen benötigte.
Auch Zwangsarbeiter aus Innsbruck wurden dabei eingesetzt.
Ein geplanter Anschlag wurde in der Kriegszeit verhindert (ob dies nun gegen das Sillwerk oder gegen das Molybdänwerk geplant war, ist nicht ganz sicher), dies steht in irgendeinem Polizeibericht.
Das Werk wurde von den Planseewerken betrieben, vielleicht gibt es dort noch Unterlagen. Ursprünglich wurde das Werk schon als Glühfadenhersteller betrieben (Molybdändrahtzieherei), da man von den Sillwerken einen günstigen Tarif für die reichlich vorhandene Energie bekam.
Der Abtransport erfolgte wie schon erwähnt mittels der Verladung auf Eisenbahnwaggons, welche auf einem Schrägaufzug zur Brennerbahn
transportiert wurde.
Dort gab es nördlich des Tunnels zwei Abstellgleise und eine Ladeanlage.
Wenn man die Trasse emporgeht, erkannt man oben das etwas größere freie Gelände der ehemaligen Verladestätte.

Ich fasse zusammen: es wurde anfangs Stickstoff und Salpetersäure hergestellt, nach der Übernahme durch die Planseewerke AG (oder sogar schon eher?) wurde der Standort zur Molybdändrahtzieherei. Du hattest also auch Recht, Wolfgang.

Aus meiner Sicht besonders interessant ist die Standseilbahn, da sie ganze Normalspurwagen aufnahm und von der Talstation am Werksgelände ein Normalspurgleis ins Werk weiterführte. Es handelte sich also um eine eisenbahntechnisch bemerkenswerte Industrie-Anschlussbahnanlage.
 
Sehr interessant, danke Frank. Anscheinend war das Sillwerk als Ansichtskartenmotiv damals beliebt, es gibt auch eine AK aus dem Jahr 1900. E-Werke waren damals eine technische Errungenschaft, auf die mal stolz war und die man wohl auch touristisch verwerten konnte.

Hier auch noch ein Webfund, nämlich ein Lageplan des Fabrikgeländes:
(Administrator: Link existiert nicht mehr)

Offenbar versucht eine Immobilienfirma seit mindestens 2005 erfolglos, das Gelände zu veräußern. Da größere LKW die Zufahrtsstraße nicht passieren können, ist es durch den Abbau der Anschlussbahn wohl so ziemlich unverkäuflich geworden - da sieht man wieder mal, was ein fehlender Bahnanschluss ausmachen kann!
 
Die Postkarte ist ein wunderschönes Dokument, zeigt aber die "Sillwerke", das ist ein Innsbrucker Kraftwerk erbaut in den Jahren 1901 - 1903.

Von verschiedenen Autoren werden Sillwerke, Salpeter-Fabrik und Planseewerke Patsch gelegentlich durcheinander gebracht.

Die Sillwerke stehen zudem in der Gemeinde Schönberg im Stubaital, während die Salpeter-Fabrik und Planseewerke in der Gemeinde Patsch stehen, der Grenzfluss ist der Fluss "Sill".

Die Zuordnung der Wohnhäuser ist ohne Unterlagen schwierig, also welche Wohnhäuser zu welchem Werk gehört haben.

Für die Sillwerke liegt mir der ausführliche Bericht des Erbauers Ingenieur Josef Riehl vor, weiters der Bericht über die elektrischen Anlagen von Dr.-Ing. C. Arldt - beide Berichte aus dem Jahr 1906 sind sehr ausführlich, mit vielen Fotos und Plänen.

Nachtrag: Die Sillwerke bei Innsbruck

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Weil aber gerade von Elektrizität der Sillwerke die Rede ist, hier ein Exkurs zum ersten Kraftwerk in Patsch:

Erstes Elektrizitätswerk in Patsch

Einem rührigen Mann ist es zu verdanken, dass zum Beginn des vorigen Jahrhunderts unser Dorf mit elektrischem Strom versorgt werden konnte.

Graf Franz von Thurn-Valsassina und Taxis (1867-1932) setzte viel daran, die Infrastruktur des Dorfes zu verbessern. Sein Interesse galt dem Fremdenverkehr. Er gründete den ersten Verschönerungsverein in Patsch und unternahm alles, um für Patsch zu werben. „Gästen solle auch ein gewisser Komfort angeboten werden und dazu gehöre auch das elektrische Licht", war seine Auffassung. Als Standort für ein Kraftwerk kam nur der Ruggschreinbach in Frage. Graf Franz stellte Kostenberechnungen an, ließ sich Voranschläge machen und beauftragte einen Innsbrucker Ingenieur, die technischen Belange zu berechnen. Schließlich konnte man von einer elektrischen Leistung von 20-25 KW ausgehen. Das sollte der Berechnung nach für 14 Lampen Straßenbeleuchtung, 200 Normallampen zu je 16 candela (das entspricht heute einer 60 Watt-Glühbirne) und 3-4 Elektromotoren reichen. In einer Freileitung aus Kupfer wurde der Strom, ohne vorher transformiert worden zu sein, ins Dorf geleitet und 54 Häuser angeschlossen. In den meisten Häusern gab es 2 Glühbirnen, eine für den Stall und eine für die Stube. Die Dorfbevölkerung kritisierte den damaligen Bürgermeister Johann Knoflach: „Zuerst vergräbt er das Geld (weil er die Wasserleitung verlegen ließ) und dann hängt er das Geld auch noch in die Luft (wegen der Freileitungen)."

Das Kraftwerk wurde am 29. 6. 1907 feierlich in Betrieb genommen und versah seinen Dienst bis 1926. Johann Kronbichler wurde gegen Entschädigung als Maschinist verpflichtet, das Werk Tag und Nacht in Gang zu halten.

Gerade in der Kriegs- und Notzeit des Ersten Weltkrieges war dieses kleine Elektrizitätswerk ein Segen für das Dorf. Die Investition von annähernd 30.000 Gulden hat sich bezahlt gemacht!

Patscher_Elektrizitaetswerk.jpg
Patscher Elektrizitätswerk in der Ruggschrein mit dem Maschinisten Johann Kronbichler im Jahre 1907.​

1946 wurde im ehemaligen E-Werk in der Ruggschrein eine Leimsiederei untergebracht, deren Produktion wurde beim Bahnhof Patsch verladen. 1948 wurde der Betrieb eingestellt. Der Leimsieder Gottfried Schindler wollte auch auf frischem Rindfleisch Pilzkulturen zur Penicillin-Produktion einrichten, doch aus diesem Plan wurde nichts.

Quelle: Oswald Wörle, Gerhard Zimmer, Patsch. Geschichte, Beschreibung, Vision mit vielen Bildern und Anekdoten. Gemeinde Patsch 2009, S. 162 - 163.


Wolfgang (SAGEN.at)
 
Noch ein weiterer Exkurs zur Wirtschaftsgeschichte in Patsch.
Der Artikel ist allerdings nicht sehr fachkundig, der Bergbau im Silltal war wesentlich größer und wirtschaftshistorisch wesentlich bedeutsamer als nachfolgend geschildert:

Patscher Bergbau

Auch für die Patscher war der Bergbau auf Eisen (Eisenspat und Roteisenstein) im Quarzphyllit des Viggar- und Arztales im 16. und 17. Jh. wirtschaftlich von Bedeutung. Söllhäuser der Knappen im Ort Patsch werden 1590 erwähnt, wohl im Zusammenhang mit Ambros Sauerweins überlieferten Eisenerzgruben im Arztal und Viggartal, die z. T. im Tagebau betrieben wurden.

Da die Haller Saline alles Holz aus den genannten Tälern beanspruchte, konnte das gebrochene Erz nicht im Wipptal, sondern erst in Ehrwald verhüttet werden. Die hohen Transportkosten brachten den Bergbau im Jahre 1695 zum Erliegen. Zwei Kapellen (die Fuchs-/Oberbichler- und die Kratzerkapelle) in Oberellbögen, die Knappenlöcher im Viggar- und Arztal und halbverfallene Stollen am Falggasanerbach erinnern noch an die Arbeit der Bergleute dort. Knappenhäuser gibt's noch im Mühltal mit Hausnamen wie Schmölzergütl, Radler, Godner und Badstübler.

Eine geologische Nachschau im Arztal gegen Ende der 50er Jahre ergab neben Eisen- auch geringe Mengen Kupfererz, kein Blei- und Zinkerz. Professionelle Probeboh-rungen Anfang der 70er Jahre stießen auf beachtliche Mengen der oben genannten Eisenerze in 60 m Tiefe.
Anmerkung: Der Patscher Flurname, „Eisenzarre" am oberen Ruggschreinbach am Bruggele des Föhrenweges und „Schmölzhütten" oberhalb des Grünwalderhofes deuten auf Eisenverarbeitung oder Gewinnung hin; sie sind geologisch/chemisch aber nicht untersucht. Ein seltsamer Beruf hat die Patscher mit der Sill verbunden. Am Falggasanerbach und unten an der Sill haben „cum privilegio" (Zustimmung) des Bergrichters zwei mutige Männer aus Patsch im Jahre 1561 Goldwäsche [wie im Wilden Westen - Anm. W.M.: blödsinniger und unpassender Vergleich!] versucht. Erzählungen sprechen auch vom bergmännischen Goldabbau. 1561 beschwerte sich der Ellbögener Lienhard Hueber beim Bergrichter. Seine Frage lautete, warum „Ausländer" ihn am Waschen/Gewinnen von Seifengold aus dem Sand der Sill hindern dürfen. Der Richter antwortete, dieses Privileg hätte er schon an zwei Patscher vergeben. Basta!

Quelle: Oswald Wörle, Gerhard Zimmer, Patsch. Geschichte, Beschreibung, Vision mit vielen Bildern und Anekdoten. Gemeinde Patsch 2009, S. 165.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Und nun eine ausführliche volkskundliche Dokumentation zu den Werken:

Das Salpetersäurewerk in Patsch

An der Sill, eine dreiviertel Gehstunde unterhalb von Patsch und direkt unter der Europabrücke, befinden sich zwei industrielle Anlagen: Am linken Sillufer - auf Schönberger Gemeindegebiet - wurde in den Jahren 1901-03 von der Stadt Innsbruck das Elektrizitätswerk „Obere Sill“ gebaut. Es war damals das größte Wasserkraftwerk in der Monarchie.

Genau gegenüber auf Patscher Gemeindegrund wurde im Jahre 1905 eine Salpetersäurefabrik von der „Luftverwertungs AG“ errichtet. Sie stand unter der Leitung der Brüder H. und G. Pauling, die auch die Erfinder des im Sillwerk angewandten Verfahrens der Salpetersäureherstellung waren. In dieser Fabriksanlage wurde in Öfen Luft mit hoher Geschwindigkeit durch einen Lichtbogen geblasen. Die entstehenden heißen Stickoxydgase wurden in einem weiteren Verfahren zu Natriumnitrit und Salpetersäure verarbeitet. Die dafür benötigte Energie war mehr als reichlich vorhanden, da das E-Werk viel überschüssigen Strom produzierte.

In den Jahren von 1908 bis 1928 beschäftigte das Salpetersäurewerk 120 bis 150 Arbeiter, die vorwiegend von auswärts kamen und in Arbeiterwohnhäusern am Talgrund neben der Sill Unterkunft fanden. Patsch hatte um 1912 ca. 500 Einwohner. Leute aus dem Dorf bekamen auch hier Arbeit. Ein Wählerverzeichnis von 1912 gibt sehr genau Auskunft über die in Patsch gemeldeten Personen und deren Berufsbezeichnungen. Sie lassen sich von ihrer Wohnadresse her gut dem Salpetersäurewerk zuordnen. Zum Beispiel wohnte Dr. Wilhelm Millner, ein junger Chemiker, mit seiner Frau im „Sillwerk“. Andere Funktionen im Salpeterwerk waren: Stationsmeister, Werkmeister, Säuremeister, Säurearbeiter, Magazineur, Werkmeister, Schlosser, Schmied, Gießermeister, Former, Jurist, Elektriker, Maschinist, Monteur, Portier, Nachtwächter, Fabriksarbeiter und Hilfsarbeiter.

Das Produkt, die flüssige Salpetersäure, ein echtes Gefahrengut, wurde in großen Steingutbehältern (Tourilles) mit einem Fassungsvermögen von je 1.500 l gefüllt und so transportfähig gemacht. Diese Behälter wurden von der „Deutschen Steinzeugwarenfabrik für Canalisation & Chemische Industrie“ in Friedrichsfeld/Baden erzeugt. Vom Sillwerk aus führte ein Bahngleis zum 30 m höher gelegenen Verladegleis der Brennerbahn. Diese Anschlussstelle war nördlich des „Patscher Tunnels“.

Die Innsbrucker Nachrichten berichteten ausführlich von einem Brand in der Patscher Salpetersäurefabrik am 22. November 1909. Die konzentrierte Säure setzt ihre Umgebung in Brand, wenn sie ausfließt. Das war wohl passiert.
Technische Daten:
Es wurden 24 Öfen mit einer Gesamtleistung von 15.000 PS installiert. Das entspricht heute einer Leistung von 11,4 MW. (Anmerkung: Das Sillwerk hatte damals wie heute eine Leistung von rund 17 MW). Ein Ofen wurde mit 400 Kilowatt bei einer Ofenspannung von 4.000 Volt betrieben. (Ein Vergleich: Damit könnten 160 Ölradiatoren à 2,5 KW betrieben werden). Die Gase im Ofen erreichten eine Temperatur von 700-800 Grad Celsius. Die Ausbeute betrug 60 g HN03 pro Kilowattstunde. Das entsprach einer Produktionsmenge von 2,4 kg HN03 pro Ofen und Stunde. Salpetersäure ist einer der wichtigsten Grundstoffe der Chemie mit vielfältigen Anwendungen.
Die geschäftliche Entwicklung in den Krisenjahren 1923/24, der steigende Strompreis und die zunehmenden Importe setzten der Firma arg zu. Sie musste Konkurs anmelden und 1928 die Produktion für immer einstellen. 1929 wurde die Salpetersäurefabrik vom Planseewerk Reutte käuflich erworben und für ihre Zwecke umgebaut.

Die Österreichische Chemikerzeitung vom 1. 6. 1909 schreibt in einem Artikel über das Salpeterwerk in Patsch abschließend: ,,[...] ich war voll Bewunderung über die außerordentliche Arbeit, die dort unter der Leitung der Herren Pauling in den letzten Jahren geleistet worden ist. Galt es doch eine Reihe ganz neuer Aufgaben, darunter nicht zum mindesten solche elektrotechnischer Natur, zu lösen und betriebsfähig zu gestalten. Dass dies auf österreichischem Boden gelang, gereicht unserer elektrochemischen Industrie zur Ehre."

Das Salpetersäurewerk im Sillwerk in Patsch war damals ohne Zweifel ein „High-tech"- Betrieb!


Planseewerk Reutte in Patsch

Aus Erzählungen von ehemaligen Angestellten im Sillwerk: Ludwig Knoflach, Johann Braunegger, Alfons Knoflach.

Plansee_Sillwerk.jpg
Fabriksanlagen des Metallwerks Plansee im Sillwerk vor 1987.
Foto Plansee Reutte.​


Die Geschichte des Planseewerkes in Reutte ist mit Patsch eng verknüpft. Es wurde 1921 von Dipl.-Ing. Dr. Paul Schwarzkopf als völlig neuartiges Unternehmen mit 20 Arbeitern in Reutte gegründet, das pulvermetallurgische Produkte entwickelte und herstellte. 1929 kaufte Schwarzkopf das in Konkurs gegangene Salpetersäurewerk im Patscher „Sillwerk“ und baute es für seine Zwecke von Grund auf um. Mittelpunkt war die große Werkshalle. Anreiz für die Wahl des Standortes war sicher das Angebot des günstigen Strombezuges vom gegenüberliegenden
E-Werk. Die Anlagen im „Planseewerk Sillwerk“ wie auch in Reutte dienten anfangs zu Versuchszwecken in der Pulvermetallurgie und zur Herstellung von Wolfram- und Molybdändrähten und von verschiedenen Legierungen. Von 1936 bis 1945 ging Plansee - und damit auch das Sillwerk - in den Besitz der Deutschen Edelstahlwerke AG über. Nach dem Krieg verwaltete das Land Tirol „Plansee“, bis Paul Schwarzkopf 1952 wieder alleiniger Besitzer wurde. Mit der Magnetproduktion in Zusammenarbeit mit den Böhlerwerken in Laa a. d. Thaya begann ein großer Aufschwung. Magnetstahl wurde zu verschiedensten Formen verarbeitet. Ebenso erfolgte die Herstellung von Hartmetallkugeln aus Tizit. In den folgenden Jahren stockte die Firma die Belegschaft im Sillwerk auf ca. 70 Arbeiter und Angestellte auf, sehr viele Männer und Frauen aus unserem Dorf fanden eine Anstellung. An die Arbeitsvorgänge in der großen Halle erinnert sich Alfons Knoflach noch ganz genau: „Das Rohmaterial (Wolframit, Molybdänoxyd) wurde in Reduktionsöfen bei 800-1.100° C mit Hilfe von Wasserstoff zu reinem Wolfram/Molybdän in Pulverform verarbeitet. Anschließend stellte man aus dem Pulver 4 Legierungen her und vermischte sie in einer Kugelmühle. Das Pulver wurde in eine Form gepresst, kam in Sinteröfen, um im Vakuum gebacken zu werden. Nach einer mechanischen Bearbeitung - im Sillwerk stand auch ein großer Hammer - kam das Produkt (Magnete) in die Härteöfen. Ich selbst musste abschließend die Magnete auf ihre Qualität prüfen."

Sinteroefen_Werkshalle_Plansee.jpg
Sinteröfen in der Werkshalle des Planseewerkes 1954.
Foto unbekannt.​


In einem Nebengebäude war die Tischlerei, die Verpackungskisten herstellte. Zweimal in der Woche brachte ein LKW aus Reutte das Rohmaterial und holte die fertigen Produkte ab. Oftmals kamen auch Ingenieure aus Reutte ins Sillwerk, um Forschungen mit dem Lichtbogenschmelzen im Vakuum anzustellen. Sie mussten diese Arbeit in der Nacht machen, weil zusätzlicher Strom, umgeformt in Gleichstrom, im Sillwerk leichter verfügbar war als bei Tage. Dabei wurden auch Titan, Tantal und Zirkon hergestellt.

Doch dann kamen „dunkle Wolken“ über das Sillwerk. Johann Braunegger erzählt: „1958 kamen Wirtschaftsfachleute aus Japan ins Sillwerk, schauten sich alles an und machten Fotos. Wir ahnten Schlimmes, denn die gesamte Magnetproduktion sollte nach Japan verkauft werden. Tatsächlich wurden in der Folge verschiedene Anlagen und Öfen demontiert und die ersten Arbeiter ‚abgebaut‘. Doch Plansee investierte auch wieder: Die Gasanlage wurde automatisiert und neue Öfen installiert. Spikes für Autoreifen waren das neue Produkt. Wir fassten wieder Hoffnung. Bis zur Pension wird es jetzt reichen, dachten wir.“ Aber bald darauf kam das endgültige Aus für Plansee Sillwerk. Mit dem Ende des Jahres 1975 war die Einstellung des Betriebes Sillwerk Realität. Die Arbeiterschaft wurde vor die Wahl gestellt, sich entweder abfertigen zu lassen oder nach Reutte zu kommen. Nur zwei Angestellte aus Patsch machten von einer kurzfristigen Übersiedlung nach Reutte Gebrauch. Ein „Lebenstraum“ war geplatzt! Es gab viele Tränen!

Belegschaft_Planseewerk_Patsch.jpg
Belegschaft des Planseewerkes im Jahr 1954.
Foto unbekannt.

Bis heute in Erinnerung geblieben ist die soziale Einstellung von Dr. Schwarzkopf zur Belegschaft: Ein Alpenrundflug 1954 mit einer Schweizer Maschine mit „Ehrenrunde“ über Patsch und Betriebsausflüge wurden von der Firma organisiert, zu Weihnachten gab es eine blaue Arbeitsmontur. Unvergesslich sind vor allem die legendären Kinderjausen für die Familien der Angestellten.

Quelle: Oswald Wörle, Gerhard Zimmer, Patsch. Geschichte, Beschreibung, Vision mit vielen Bildern und Anekdoten. Gemeinde Patsch 2009, S. 156 - 161.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Danke für deine ausführlichen Recherchen, Wolfgang! Ich gehe demnächst noch näher darauf ein.

Wie angekündigt, waren wir am Sonntag erneut dort; leider war die Erkundung aber nicht sehr erfolgreich. Schon nach ein paar Minuten kam ein Wachdienst-Mensch und vertrieb uns vom Gelände - vor dem Brand hat's niemanden interessiert, was dort passiert, aber seit dem Brand scheint es permanente Überwachung zu geben. :( Das Tor der Hauptzufahrt war auch verschlossen und beim von uns genutzten "Schlupfloch" war ein neues "Zutritt verboten"-Schild angebracht.
Aus diesem Grund gibt's leider weder Bilder aus der "unteren Halle", noch von den Anschlussbahn-Relikten. Dafür werde ich mich aber beizeiten von der anderen Seite noch mal anschleichen.
Von irgendwelchen Abrissarbeiten war glücklicherweise nichts zu bemerken!

Die paar Minuten haben wenigstens ausgereicht für ein Bild aus der ausgebrannten zentralen Werkhalle:
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Exkurs: Trasse der ehemaligen Standseilbahn

Am 31. Oktober 2011 habe ich mir in Begleitung von zwei weiteren Interessierten endlich die Erkundung der Trasse der ehemaligen Standseilbahn vorgenommen. Als kleiner Exkurs hier der Bildbericht.

Gleich vorweg: der Zahn der Zeit hat hier schon sehr gnadenlos genagt. Wer auf "richtige" Bahnrelikte hofft, wird hier enttäuscht - von der eigentlichen Bahntrasse (Schwellen, Schienen, Seilrollen) sind keinerlei Spuren mehr zu sehen. Selbst die Trasse ist weitgehend schon den Elementen zum Opfer gefallen; da sie sich durchwegs in sehr steilem Gelände befindet, ist so gut wie alles irgendwann einmal abgebrochen. Diese Dokumentation kann nur noch ein paar allerletzte Relikte und den Trassenverlauf zeigen.

Sollte jemand vorhaben, sich das mal selbst anzusehen, sind feste Schuhe mit gutem Profil und trockenes Gelände unbedingte Voraussetzungen. Wenn's dort nass ist, liegt man wohl sehr schnell mal hundert Meter weiter unten.

Ich durfte von der Standseilbahn inzwischen auch schon zwei historische Aufnahmen sehen, die sich im Besitz des Bahnhistorikers Werner Schröter befinden.

Von ebendiesem stammt auch die untenstehende Skizze. In rot eingezeichnet der ungefähre Verlauf der Standseilbahn, in schwarz die damalige Gleisanlage der Brennerbahn. Man beachte den zweigleisigen Verladebahnhof. Dort wurden die Vollbahnwagen auf die Standseilbahn verladen.
Norden ist oben:

20111023-Sillwerk-4866.jpg


In diesem Bereich muss die Talstation gewesen sein, und von hier soll ein Normalspurgleis weiter aufs Werksgelände geführt haben. Wir blicken nach Norden, links im Bild die "untere Halle", auf dem Übersichtsbild das am weitesten nördlich stehende Gebäude:

20111031_funi-sf_01.jpg


Hier stehen wir schon auf der ehemaligen Trasse - auch wenn man diese so gut wie gar nicht mehr erkennt. Wir blicken zurück nach unten:

20111031_funi-sf_03.jpg


Etwas weiter oben das erste wirklichr Relikt: eine Stützmauer oberhalb der Trasse_

20111031_funi-sf_04.jpg


Zurück geschaut, ist sie links im Bild. Leider musste ich wegen der schlechten Lichtverhältnisse die Blende ganz aufmachen:

20111031_funi-sf_05.jpg


Und auch eine vermutlich sehr alte Schiene - auf einer anderen lasen wir die Jahreszahl 1874 ab - steckt hier zur Hangsicherung im Boden. Das kommt entlang der Trasse immer wieder vor:

20111031_funi-sf_06.jpg


Nach dem Queren einer breiten Lichtung, auf der die Trasse wohl irgendwann mal einem Erdrutsch zum Opfer gefallen ist, findet sich wieder ein Stück Stützmauer oberhalb:

20111031_funi-sf_07.jpg


Der Blick zurück zeigt keine sichtbaren Spuren (Stützmauer wieder links im Bild):

20111031_funi-sf_08.jpg


Diese Kabelkanalabdeckung dürfte irgendwann einmal von der oberhalb liegenden Brennerbahn heruntergekullert sein:

20111031_funi-sf_09.jpg


Weiter geht es durch sehr, sehr unwegsames Gelände - Trasse abgebrochen, links runterschauen absolut nicht empfehlenswert:

20111031_funi-sf_10.jpg


Nach dieser schwierigen Stelle werden wir mit einem Trassenstück belohnt, das fast "komplett" ist. Untere Stützmauer:

20111031_funi-sf_11.jpg


Obere Stützmauer:

20111031_funi-sf_12.jpg


Und ein Stück weiter oben noch ein großes Stück obere Stützmauer:

20111031_funi-sf_13.jpg


Hier lässt sich, zurückgeschaut, die Trasse ganz gut erahnen (untere Stützmauer im rechten Bilddrittel zwischen den Bäumen):

20111031_funi-sf_14.jpg


Und etwas weiter oben wieder ein großes Stück obere Stützmauer:

20111031_funi-sf_15.jpg


Hangsicherung:

20111031_funi-sf_16.jpg


Hier sind wir schon kurz vor der Plattform des ehemaligen Verladebahnhofes:

20111031_funi-sf_17.jpg


Blick zurück:

20111031_funi-sf_18.jpg


Im Bildhintergrund geradeaus muss die Standseilbahn von unten her die Plattform erreicht haben. Wir stehen am Gelände ehemaligen Verladebahnhofs und schauen gegen Süden. Das Gelände wurde aufgeschüttet, wahrscheinlich beim Ausbau der Brennerbahn, es ist nicht mehr plan. Dieses Pflanzenzeugs dort ist mindestens einen Meter hoch und hat meine dunkelblaue Jacke fast weiß gefärbt:

20111031_funi-sf_20.jpg


Von der anderen Seiten, gegen Norden, ist an der Stützmauer der Brennerbahn deutlich die Verschwenkung für die Plattform zu erkennen. Hier zweigte das Bahnhofsgleis von Süden her ab, in Bildmitte das ehemalige Bahnhofsgelände:

20111031_funi-sf_21.jpg


Um nach all dem Dokumentarischen auch noch was Ästhetisches von dieser Tour zu zeigen, ist, hier noch ein Blick auf die andere Seite des Tunnels, der südseitig kurz vor der Plattform endet:

20111031_funi-sf_25.jpg


Das war's erstmal von der ehemaligen Standseilbahn zum Werksgelände der "Luftverwertungs AG".
 
Ein sehr interessanter Bericht! Danke an die Vorposter! Als Ergänzung erlaube ich mir ein Foto der Werksanlagen zu posten, wo man die Trasse der Standseilbahn im unteren Bereich erkennen kann. Hoffe das Foto ist hilfreich... War schon eine beeindruckende Anlage...

LG aus dem Verkehrsarchiv
 

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