Ich möchte hier auf einen bemerkenswerten Bericht zu einem bemerkenswerten Buch aufmerksam machen:
"Seltsame „Naturgeschichte für Kinder“
Von Ekkehard Hofbauer
Unter dem ob genannten Titel erschien 1798 in Tübingen eine Art Brehms Tierleben, das von dem ordentlichen Lehrer der Geschichte und Geographie auf dem Lyzeum zu Göttingen, M. Georg Christian Raff, verfasst und mit allerhöchstgnädigst „Kayserl. Privilegio“ bei Joh. Friedr. Balz und Wilh. Heinr. Schramm herausgegeben wurde.
In der Vorrede werden vom Verfasser auch methodische Hinweise für den Unterricht gegeben. Nach einem Kapitel über das Pflanzenreich, in dem er jeder Pflanze einige Sätze widmet, schreibt er im Kapitel über das Tierreich zuerst von den Gewürmen, dann von den Insekten, Fischen, Amphibien, von den Vögeln und zuletzt von den Säugetieren. Daran schließt sich noch das Steinreich an.
In diesen Ausführungen kommen einige seltsam anmutende Behauptungen vor, von denen ein paar hier wiedergegeben seien.
Über die Läuse steht in diesem Buch folgendes: Diese beschwerlichen Tierchen fressen sich in die Haut und machen Gänge darin. Sie sind das beschwerlichste Insekt für den Menschen. Sie nisten am liebsten auf den Köpfen. Man hat sogar Beispiele, dass Menschen von den „Läussen“ gefressen worden sind; so ausgemergelt, zerstochen und zerfressen, dass ihnen endlich in ihrer Ohnmacht der „Odem“ ausblieb und sie also wirklich starben (S. 223).
Kommen etliche Sägefische zugleich über einen Walfisch her, so „zerstimmeln“ sie ihn in etlichen Stunden, so dass er sterben und ihnen zur Beute werden muss. Nun schlitzen sie ihm den Bauch auf, kriechen hinein und fressen seine Zunge, die lauter Speck ist, auf. Das Fleisch lassen sie den weißen Bären, die schon in der Nähe lauern (S. 269).
Von den Schwalben wird ausgesagt, dass sie sich größtenteils im Herbst in wärmere Gegenden begeben, aber auch viele sich in Morästen, hohlen Bäumen und Felsenritzen verstecken (S. 410). Ähnliches nimmt der Verfasser auch von den Störchen an (S. 363).
Wie die Murmeltiere ihren Bau auspolstern, wird folgenderweise beschrieben: Sie beißen eine Menge zarter Kräuter ab, trocknen sie an der Sonne und trägen sie danach auf einen Haufen. Dann legt sich eines auf den Rücken, streckt alle viere gen Himmel und lässt sich mit Heu beladen. Ist der Wagen voll, so klammert es seine Füße zusammen, damit auf der Fahrt nichts verlorengehe. Nun beißen oder nehmen es die übrigen bei seinem Schwanz und ziehen und schleppen es nach Hause, wo es dann abgeladen wird (S. 446).
Den Fuchs lässt Professor Raff in seinem Buch selber erzählen: Wenn mich die Flöhe allzu sehr plagen, so nehme ich ein Büschelchen Heu oder Moos oder sonst was in die Schnauze, gehe sodann rückwärts, doch sehr langsam und allmählich tiefer ins Wasser, damit die Flöhe Zeit behalten, nach und nach an den Hals, vom Hals auf den Kopf und vom Kopf an die Schnauze und von dieser endlich in das Büschelchen Heu oder Moos zu fliehen. Sind sie nun alle im Moos drin, so tauche ich plötzlich unter und lasse es fallen. So bin ich auf einmal alle diese Peiniger los (S. 519).
Über den Steinbock heißt es: Es muss kalt und bergig sein, wo der Steinbock lebt, denn in der Wärme wird er blind, und auf der Ebene kann er nicht gut laufen. Er springt oft zehn bis zwanzig Ellen weit herunter, wenn er verfolgt wird oder seiner Nahrung nachgeht; doch bricht auch mancher dabei Hals und Bein, wenn sie den Fels verfehlen oder ihr Kopf ausgleitet, denn sie stürzen sich auf die Köpfe hinunter, die erstaunlich hart sind (S. 561).
Von der Gamsjagd wird berichtet: Wenn sich ein Gamsjäger verstiegen hat, wirft er seine Flinte und andere schwere Sachen weg, zieht seine Schuhe aus, schneidet sich mit einem Messer die Fersen oder die Ballen seiner Füße so tief auf, dass sie stark bluten, und springt nun auf das weit unter ihm herausragende, kaum eine Handbreit große Felsenstück in der Hoffnung hinunter, dass das Blut an seinen Füßen ihm statt eines Leimes dienen und ihn vor dem Abgleiten sichern werde (S. 564).
Der Elefant kann laut Prof. Raff durch Tiger, Leopard, Löwe oder Nashorn im Schlaf angefallen werden, die ihm dann auf den Rücken springen und so lange von seinem Blut saugen, bis er tot ist. Sie können ihm auch den Rüssel zuhalten, wodurch er keine Luft bekommt und so stirbt (S. 602).
Zum Einfangen von Affen werden folgende Tricks angeführt: Man setze sich unterhalb des Baumes nieder, auf dem sie sitzen, und wasche sich aus einer Schüssel mit Wasser das Gesicht ab. Dann muss das Wasser ausgeleert werden, wonach man die Schüssel mit Leimwasser füllt. Nun versteckt man sich, sofort werden die Affen herunterkommen und das Waschen des Gesichts nachahmen, mit dem Leimwasser ihre Augen verkleben und können nun leicht eingefangen werden. — Man kann auch seine Schuhe ausziehen und kleinere, mit Pech angefüllte Schuhe liegenlassen, dann geht man wieder fort. Der Affe wird nun herunterkommen, diese Schuhe anprobieren und nicht mehr imstande sein, auf den Baum zu kommen, so dass er eingefangen werden kann. — Müssen Affen fliehen und sie kommen an einen Fluss, so springt zuerst der größte hinein, an dessen Schwanz oder Hinterteil sich die übrigen bis zum kleinsten hintereinander anhalten. Der erste große zieht also die ganze Reihe an seinem Schwanz hinüber (S. 655).
Besonders interessant muten die Berichte über Menschen an, die in der Wildnis aufgewachsen und später von den Menschen einer Siedlung bei sich aufgezogen wurden. Sechs solcher Beispiele, die sich 1661 und 1694 in Litauen, in Irland, 1717 in Holland, 1719 in den Pyrenäen und 1731 in Frankreich ereigneten, werden auf den Seiten 669 bis 675 beschrieben.
Bei der Beschreibung des menschlichen Kopfes wird unter anderem angegeben, dass man glaubt, dass im Kopfe der Sitz der Seele sei.
Der Mensch soll ungefähr 50 Pfund Blut haben, wobei es in einem Kreis von 74 Ellen herumlaufen muss und in einer Viertelstunde einmal das Herz durchfließt. Auf den Seiten 683 und 684 werden dann Menschen von sehr kleiner bzw. sehr großer Gestalt beschrieben, wobei unter anderem von Erzherzog Ferdinand von Österreich berichtet wird, der einen Zwerg von nur drei Spannen und einen Haiducken von über fünf Ellen an seinem Hof hatte.
Nach einer weiteren Beschreibung von Menschenrassen wird noch von Riesenkraken berichtet, wobei aber der Verfasser doch sagt, dass Berichte darüber in das Reich der Sage zu verweisen seien.
Den Abschluss des Buches bildet ein Kapitel über das „Steinreich“ von Seite 687 bis 718, danach sind noch 13 Tafeln mit Stichen von Tieren und Pflanzen dem Buch beigefügt, die auch oft ganz seltsame Darstellungen zeigen. So stellt also dieses Werk ein Dokument des naturgeschichtlichen Wissens dieser Zeit dar.
Der Verfasser dankt dem Kollegen Fachlehrer Georg Anker für die freundliche Überlassung des Buches für die Abfassung dieses Berichtes.
Quelle: Ekkehard Hofbauer, Seltsame "Naturgeschichte für Kinder", in: Tiroler Heimatblätter, Heft 1/3, 1972, 47. Jg., S. 39 - 40.
Das besprochene Buch kann heute auch online gelesen werden:
Naturgeschichte für Kinder Von Georg Christian Raff
Vielleicht findet jemand noch für das Forum zitierenswerte Stellen?
Wolfgang (SAGEN.at)
"Seltsame „Naturgeschichte für Kinder“
Von Ekkehard Hofbauer
Unter dem ob genannten Titel erschien 1798 in Tübingen eine Art Brehms Tierleben, das von dem ordentlichen Lehrer der Geschichte und Geographie auf dem Lyzeum zu Göttingen, M. Georg Christian Raff, verfasst und mit allerhöchstgnädigst „Kayserl. Privilegio“ bei Joh. Friedr. Balz und Wilh. Heinr. Schramm herausgegeben wurde.
In der Vorrede werden vom Verfasser auch methodische Hinweise für den Unterricht gegeben. Nach einem Kapitel über das Pflanzenreich, in dem er jeder Pflanze einige Sätze widmet, schreibt er im Kapitel über das Tierreich zuerst von den Gewürmen, dann von den Insekten, Fischen, Amphibien, von den Vögeln und zuletzt von den Säugetieren. Daran schließt sich noch das Steinreich an.
In diesen Ausführungen kommen einige seltsam anmutende Behauptungen vor, von denen ein paar hier wiedergegeben seien.
Über die Läuse steht in diesem Buch folgendes: Diese beschwerlichen Tierchen fressen sich in die Haut und machen Gänge darin. Sie sind das beschwerlichste Insekt für den Menschen. Sie nisten am liebsten auf den Köpfen. Man hat sogar Beispiele, dass Menschen von den „Läussen“ gefressen worden sind; so ausgemergelt, zerstochen und zerfressen, dass ihnen endlich in ihrer Ohnmacht der „Odem“ ausblieb und sie also wirklich starben (S. 223).
Kommen etliche Sägefische zugleich über einen Walfisch her, so „zerstimmeln“ sie ihn in etlichen Stunden, so dass er sterben und ihnen zur Beute werden muss. Nun schlitzen sie ihm den Bauch auf, kriechen hinein und fressen seine Zunge, die lauter Speck ist, auf. Das Fleisch lassen sie den weißen Bären, die schon in der Nähe lauern (S. 269).
Von den Schwalben wird ausgesagt, dass sie sich größtenteils im Herbst in wärmere Gegenden begeben, aber auch viele sich in Morästen, hohlen Bäumen und Felsenritzen verstecken (S. 410). Ähnliches nimmt der Verfasser auch von den Störchen an (S. 363).
Wie die Murmeltiere ihren Bau auspolstern, wird folgenderweise beschrieben: Sie beißen eine Menge zarter Kräuter ab, trocknen sie an der Sonne und trägen sie danach auf einen Haufen. Dann legt sich eines auf den Rücken, streckt alle viere gen Himmel und lässt sich mit Heu beladen. Ist der Wagen voll, so klammert es seine Füße zusammen, damit auf der Fahrt nichts verlorengehe. Nun beißen oder nehmen es die übrigen bei seinem Schwanz und ziehen und schleppen es nach Hause, wo es dann abgeladen wird (S. 446).
Den Fuchs lässt Professor Raff in seinem Buch selber erzählen: Wenn mich die Flöhe allzu sehr plagen, so nehme ich ein Büschelchen Heu oder Moos oder sonst was in die Schnauze, gehe sodann rückwärts, doch sehr langsam und allmählich tiefer ins Wasser, damit die Flöhe Zeit behalten, nach und nach an den Hals, vom Hals auf den Kopf und vom Kopf an die Schnauze und von dieser endlich in das Büschelchen Heu oder Moos zu fliehen. Sind sie nun alle im Moos drin, so tauche ich plötzlich unter und lasse es fallen. So bin ich auf einmal alle diese Peiniger los (S. 519).
Über den Steinbock heißt es: Es muss kalt und bergig sein, wo der Steinbock lebt, denn in der Wärme wird er blind, und auf der Ebene kann er nicht gut laufen. Er springt oft zehn bis zwanzig Ellen weit herunter, wenn er verfolgt wird oder seiner Nahrung nachgeht; doch bricht auch mancher dabei Hals und Bein, wenn sie den Fels verfehlen oder ihr Kopf ausgleitet, denn sie stürzen sich auf die Köpfe hinunter, die erstaunlich hart sind (S. 561).
Von der Gamsjagd wird berichtet: Wenn sich ein Gamsjäger verstiegen hat, wirft er seine Flinte und andere schwere Sachen weg, zieht seine Schuhe aus, schneidet sich mit einem Messer die Fersen oder die Ballen seiner Füße so tief auf, dass sie stark bluten, und springt nun auf das weit unter ihm herausragende, kaum eine Handbreit große Felsenstück in der Hoffnung hinunter, dass das Blut an seinen Füßen ihm statt eines Leimes dienen und ihn vor dem Abgleiten sichern werde (S. 564).
Der Elefant kann laut Prof. Raff durch Tiger, Leopard, Löwe oder Nashorn im Schlaf angefallen werden, die ihm dann auf den Rücken springen und so lange von seinem Blut saugen, bis er tot ist. Sie können ihm auch den Rüssel zuhalten, wodurch er keine Luft bekommt und so stirbt (S. 602).
Zum Einfangen von Affen werden folgende Tricks angeführt: Man setze sich unterhalb des Baumes nieder, auf dem sie sitzen, und wasche sich aus einer Schüssel mit Wasser das Gesicht ab. Dann muss das Wasser ausgeleert werden, wonach man die Schüssel mit Leimwasser füllt. Nun versteckt man sich, sofort werden die Affen herunterkommen und das Waschen des Gesichts nachahmen, mit dem Leimwasser ihre Augen verkleben und können nun leicht eingefangen werden. — Man kann auch seine Schuhe ausziehen und kleinere, mit Pech angefüllte Schuhe liegenlassen, dann geht man wieder fort. Der Affe wird nun herunterkommen, diese Schuhe anprobieren und nicht mehr imstande sein, auf den Baum zu kommen, so dass er eingefangen werden kann. — Müssen Affen fliehen und sie kommen an einen Fluss, so springt zuerst der größte hinein, an dessen Schwanz oder Hinterteil sich die übrigen bis zum kleinsten hintereinander anhalten. Der erste große zieht also die ganze Reihe an seinem Schwanz hinüber (S. 655).
Besonders interessant muten die Berichte über Menschen an, die in der Wildnis aufgewachsen und später von den Menschen einer Siedlung bei sich aufgezogen wurden. Sechs solcher Beispiele, die sich 1661 und 1694 in Litauen, in Irland, 1717 in Holland, 1719 in den Pyrenäen und 1731 in Frankreich ereigneten, werden auf den Seiten 669 bis 675 beschrieben.
Bei der Beschreibung des menschlichen Kopfes wird unter anderem angegeben, dass man glaubt, dass im Kopfe der Sitz der Seele sei.
Der Mensch soll ungefähr 50 Pfund Blut haben, wobei es in einem Kreis von 74 Ellen herumlaufen muss und in einer Viertelstunde einmal das Herz durchfließt. Auf den Seiten 683 und 684 werden dann Menschen von sehr kleiner bzw. sehr großer Gestalt beschrieben, wobei unter anderem von Erzherzog Ferdinand von Österreich berichtet wird, der einen Zwerg von nur drei Spannen und einen Haiducken von über fünf Ellen an seinem Hof hatte.
Nach einer weiteren Beschreibung von Menschenrassen wird noch von Riesenkraken berichtet, wobei aber der Verfasser doch sagt, dass Berichte darüber in das Reich der Sage zu verweisen seien.
Den Abschluss des Buches bildet ein Kapitel über das „Steinreich“ von Seite 687 bis 718, danach sind noch 13 Tafeln mit Stichen von Tieren und Pflanzen dem Buch beigefügt, die auch oft ganz seltsame Darstellungen zeigen. So stellt also dieses Werk ein Dokument des naturgeschichtlichen Wissens dieser Zeit dar.
Der Verfasser dankt dem Kollegen Fachlehrer Georg Anker für die freundliche Überlassung des Buches für die Abfassung dieses Berichtes.
Quelle: Ekkehard Hofbauer, Seltsame "Naturgeschichte für Kinder", in: Tiroler Heimatblätter, Heft 1/3, 1972, 47. Jg., S. 39 - 40.
Das besprochene Buch kann heute auch online gelesen werden:
Naturgeschichte für Kinder Von Georg Christian Raff
Vielleicht findet jemand noch für das Forum zitierenswerte Stellen?
Wolfgang (SAGEN.at)