Libussa und die böhmischen Mädchenkriege
Einst lebte Krok. Er führte das Land, das wir heute Böhmen nennen, und er hatte drei Töchter: Libussa, Kazi und Tjeta. Libussa war die jüngste, sie war sehr klug und alle wussten, dass sie nach dem Tod des alten Krok die Führung übernehmen würde. Alle Menschen im Land liebten sie sehr. Sie liebten auch die beiden Schwestern, denn Kazi war eine sehr gute Ärztin und Heilerin und Tjeta die oberste Priesterin im Tempel.
Libussa hatte auch die Gabe, in die Zukunft zu sehen und weiszusagen. Eines Tages stand sie mit einigen Getreuen oberhalb der Furt durch die Vlatava. Plötzlich hob sie die Hand und sprach: „Ich sehe goldene Dächer! Hier will ich meine Stadt begründen, Praha soll sie heißen, die Furt zur Glückseligkeit!“
So entstand die Stadt Prag.
Nun war es so, wer auf dem Thron nachfolgte, wählte sich eine zweite Person zum Mitregieren. Auch dies Person musste von allen Menschen im Land gewollt sein. Führte ein Frau, so wählte sie einen Mann. Führte ein Mann, so wählte der sich eine Frau.
Zu den damaligen Zeiten wählte auch jede Sippe eine Person - eine Frau oder einen Mann - aus ihrer Mitte zum Sprecher/zur Sprecherin. Die SprecherInnen aus vielen Sippen trafen sich wiederum einmal im Monat, besprachen Dinge, welche das ganze Tal angingen. Einmal im Jahr wurden SprecherInnen gewählt für die Großversammlung aller tschechischen Stämme. Auch Frauen waren dabei, als Richterinnen, Priesterinnen und Wahrsagerinnen.
Doch das änderte sich: insbesondere die adeligen Stände der Großversammlung hatten es in den letzten jahren mehr und mehr geschafft hatten, ihre Ämter, ähnlich dem von Krok, erblich zu machen. Einige von ihnen regierten bereits ohne Zustimmung der Versammlungen.
Die Herren aus den Ständen, besonders die Erbstände, bedrängten Libussa mehr und mehr, doch einen aus ihren Reihen zu wählen – was sie auf gar keinen Fall wollte.
Libussa sah ein, dass sie Hilfe brauchte. Sie hatte einen guten Freund, einen jungen Bauern, den sie oft besuchte. Der hatte ihr einst eine wunderschöne, rote Stute geschenkt. Sie beschloss, diesen klugen, landerfahrenen Mann aus dem Volk zu ihrem Mitregenten zu machen, denn sie spürte, dass sie ihn gern genug hatte, um auch hin und wieder des nachts bei ihm zu liegen und Kinder mit ihm zu zeugen.
Sie musste sich also einen Mann als Mitregenten suchen. Libussa, die erbliche Regentin, wählte einen Mann aus dem Volk, das war Premysl. Eigentlich wollte sie zwar keinen Mann, denn sie teilte ihr Lager mit Vlasta, der Anführerin ihrer Leibgarde, doch so waren nun mal die Gesetze.
So ging sie eines Tages zu ihrer Schwester, welche Priesterin war. Gemeinsam verkündeten die Schwestern dann den Willen der Götter (und Göttinnen): Derjenige Mann, vor dem die Stute das Knie beuge, der solle ihr Mitregent werden. Dann band sie die rote Stute los – und wie jedes Pferd lief auch diese zu ihrem heimischen Stall zurück – also zu Premysl.
So also wurde Premysl Libussas Mitregent und das Volk war sehr zufrieden.
Leider war Premysl später dann doch so keine große Hilfe, wie sie gehofft hatte. Doch zu zweit konnten sie anfangs den Erbständen erst einmal widerstehen, vor allen Dingen, weil das Volk sie liebte. Die Erbstände bekamen damals viel Unterstützung aus den westliche angrenzenden Ländern, die bereits zum Christentum übergetreten waren und dem Oberpriester in Italien (der Papst) huldigten. Die westlichen Länder brauchten ein starkes Land hinter ihren Grenzen, um drohende Gefahren aus dem Osten, zum Beispiel die Awaren, abzuhalten. Noch sicherer hätten sie sich gefühlt, wenn dieses Land ihren Gesetzen und ihrer Religion gefolgt wäre. Sie mochten Länder nicht, in denen Frauen regierten und schon gar nicht solche Länder, in denen Frauen Waffen trugen. Was reichlich dumm war, denn ohne Frauen gab es doch viel weniger kämpfende Leute gegen die Awaren! Vlasta, Libussas Gefährtin, war eine große Kämpferin und besiegte viele Awaren.
Mit Hilfe der Landversammlungen und der Großsippen konnten Libussa, Premysl und Vlasta den Erbständen widerstehen. Aber dann starb Libussa unerwarteterweise sehr jung. Premysl stand allein da und so nahm das Unglück seinen Lauf...
Von Rechts wegen hätte eigentlich Tjeta, die nächstältere Schwester Libussas, die Führung übernehmen sollen – aber gegen eine weitere, eigensinnige Tochter Kroks waren die Erbstände von vornherein. Sie wollten, dass Premysl eine Frau aus ihren Reihen nähme. Doch Premysl trauerte anfangs heftig um Libussa und für ihn war es eigentlich selbstverständlich, dass Vlasta nun die Führung übernehmen sollte, denn im Grunde genommen hatten sie ja bereits die ganze Zeit das Land zu dritt geführt.
Doch ehe Premysl seinen Wunsch öffentlich bekanntmachen konnte, kamen ihm die Erbstände zuvor. Sie erließen ein Gesetz, dass allen Frauen in Zukunft das Waffentragen verbieten sollte, außerdem die freie Wahl des Bettgenossen oder Bettgenossin und das Recht, in den Versammlungen zu wählen oder gewählt zu werden. Die böhmischen Frauen sollten also so werden wie die Frauen in den Westländern.
Dazu hatten die Frauen allerdings so gar keine Lust! Denn dann könnten die Männer ja machen, was sie wollten, ohne die Frauen zu fragen. Ein Aufschrei ging durch das Land. Die Frauen dachten überhaupt nicht daran, ihre Waffen und ihre Rechte abzugeben. Ganz im Gegenteil!
Vlasta begann mit der Leibwache Libussas zu trainieren. Bald strömten von überall her Frauen, vor allem sehr junge Frauen, ihrer Truppe zu. Deswegen wird dieser Krieg auch (reichlich herablassend!) „Krieg der Mädchen“ genannt.
Leider gab es überhaupt keinen Mann, der gegen diese dummen neuen Gesetze war: die Brüder, Söhne, Väter und Männer der Frauen fanden es gut, dass ihre Schwestern, Mütter und Gattinnen nichts mehr im Land zu sagen hatten - vielen kam das sehr gelegen! Die Männer konnten nun im Dorf, in der Sippe, in ihrem Haus – einfach überall - das Maul weit aufreißen. Sie hatten das Recht, über den gesamten Besitz zu verfügen.
Ohne die Brüder, Freunde, Gatten, Söhne und Väter der Frauen hätten die Erbstände niemals diese Gesetze erlassen können. Es waren die gewählten Männer, die die Frauen einst selber mit in die Großversammlungen gewählt hatten. Und zusammen mit den Erbständen waren sie mächtiger und warfen die Frauen aus den Versammlungen hinaus.
Zurück zu Vlasta, die die Frauen auf ihrer Burg Djewin, genau gegenüber der Burg Vyscherad (wo Premysl hockte), versammelte und mit ihnen das Waffengeschäft übte. Die Frauen sandten Botinnen an Premysl, die Erbstände und die Großversammlung und bedeuteten allen, dass sie keinesfalls gewillt wären, auf ihre Rechte zu verzichten. Doch statt einzulenken, begannen die Erbstände, die Männer im Lande einzuziehen. Jene Frauen, die noch auf ihren Höfen und Häusern geblieben waren, verboten ihren Brüdern, Männern und Söhnen, dem Aufruf der Erbstände zu folgen.
Die Männer, die begriffen, in welche Falle sie geraten waren, folgten zwar dem Ruf, ließen aber ihre Waffen zu Hause, denn sie konnten sich nicht vorstellen, gegen ihre Mütter, Schwestern, Töchter und Liebhaberinnen mit dem Schwert anzutreten!
Die Erbstände schäumten vor Wut. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie genügend Waffen auf ihren Burgen geschmiedet hatte, um alle eingerückten Männer neu zu bewaffnen. Inzwischen lief der Aufstand der Frauen durch das ganze Land. Weite Gebiete waren in den Händen von Vlasta und ihren Freundinnen. In diesen Gebieten wurden wieder die alten Gesetze und Sitten beachtet.
Und was machte Premysl die ganze Zeit?
Premysl war ein Musterbeispiel eines solchen Mannes, der sich vom Freund und Helfer der Frauen zu einem Feind und Vernichter wandelte. Wie übrigens viele von ihnen damals. Seine guten Seiten verwandelten sich unter dem Einfluss der Erbstände in schlechte. Seine Freude, weise und gut ein Land zu führen, so dass es allen Menschen (Frauen wie Männern) wohl darin erginge, wandelte sich in Gier und hemmungslosem Streben nach der Macht. Seine Gutmütigkeit, seine Sanftheit wurde gegenüber den Erbständen zur Unbeständigkeit. Wie ein Blatt im Winde ließ er sich von ihnen hin und her wehen – gerade so, wie es den Erbständen gefiel.
Kurz überlegte er wohl, ob er sich nicht auf Vlastas Seite schlagen wollte. Er bot ihr das halbe Reich an und wollte, dass sie seinen Sohn als Mitregenten annähme. Doch inzwischen waren die Dinge so weit zum Unguten gediehen, dass sie es ablehnte, mit diesem Schwächling, der ihr ja kaum gegen die Erbstände hätte beistehen können, oder gar mit seinem noch bartlosen Sohn zusammen das Land zu führen. Außerdem liebte sie es noch viel weniger als Libussa, bei Männern zu liegen.
Nun, die Erbstände und ihre verbündeten Männer konnten die Frauen nicht besiegen. Dazu waren es einfach zu viele Frauen und so mancher Krieger war doch nur halb bei der Sache. Also gab es wieder mal Verhandlungen. Vlasta sandte eine Abordnung von fünfzig unbewaffneten Frauen hinüber zum Hradschin, wo die Erbstände regierten. Diese hatten ihnen freies Geleit und freien Abzug zugesagt. Die Verhandlungen verliefen – scheinbar – ganz ruhig. Die Erbstände gaben ein Essen und Premysl überschlug sich vor Freundlichkeit.
Plötzlich stürmten weit über hundert bewaffnete Männer den Saal, in dem die Unterhändlerinnen mit Premysl und den Erbständen speisten. Die (unbewaffneten!) Frauen wurden niedergemetztelt (was für eine „Heldentat“!), ihre Leichen den Hang in die Vlatava hinuntergeworfen. Wenige Zeit später trieben sie am Djewin vorbei und das Wasser war rot von ihrem Blut.
Die Erbstände brachen jedes Recht. Wer sich auflehnte, wurde von ihren willfährigen Anhängern hinterrücks ermordet. Einer von den Schlimmsten war Cztirad – er war es auch, der die Ermordung der Unterhändlerinnen angeführt hatte. Vlasta und die Frauen heckten einen Plan aus. Sie wussten, dass Cztirad nach dem Mord an den Frauen wohl erst mal nach Hause, auf seine Burg, reiten würde – wohlbelohnt von Premyls und seinen Erbständen.
Der Weg führte ihn durch das schöne Tal (das ist das Scharka-Tal), welches sich nordwärts von Prag hinzieht. Die Späherinnen berichteten den anderen Frauen, wann er auf den Hradschin abziehen würde. Vlasta und ihre zahlreichen Freundinnen verbargen sich in den Felsen beiderseits der engen Schlucht, durch die sein Weg führen musste. Eine der Frauen ließ sich in zerrissenen Kleidern und mit dunkelroter Schneckenfarbe angemalt an einen Baum binden. Als sie Cztirads Truppen heranreiten hörte, begann sie laut zu lamentieren und zu jammern und weinen. Dazu muss man noch wissen, Cztirad verachtete Frauen, er trat sie mit Füßen, und prahlte mit seinem Ausspruch, dass ein Mann mit Frauen nur schlafen solle, aber nicht reden. Und am meisten hasste er Frauen, die Männer als Bettgenossen ablehnten und sich lieber mit Frauen vergnügten – über die sagte er, solchen fehle einfach nur der richtige Mann, ein Bulle im Bett – so wie er einer war.
Als er die Frau im Baum hängen sah, witterte er ein leichtes Opfer – sofort sprang er vom Pferd, um sie zu „retten“. Die Frau spielte ihm ordentlich was vor: händeringend und weinend bat sie ihn um Befreiung und machte ihm deutlich, dass sie ihm gerne zu Diensten wäre, wenn er sie befreien würde.
Cztirad witterte eine „fröhliche“ Nacht mit ihr und befahl seinem Trupp, abzusitzen, ein Zelt zu errichten, Wein und Bier und Speisen aufzutragen.
Bald aßen und tranken alle Männer. Cztirad soff wie ein Fass, die Frau jedoch schüttete den Wein heimlich in den Bach. Czitrad rückte ihr immer näher – doch dann kam endlich die Dunkelheit! Auf ein verabredetes Zeichen hin stürmten und sprangen die Frauen von den Felswänden herab, hinter den Büschen und Steinhaufen hervor und töteten alle Männer, die da betrunken herumlagen. Cztirads Kopf sandten sie zurück auf den Hradschin und seine Männer verbrannten sie am nächsten Morgen in einem großen Feuer, die Asche streuten sie ins Wasser. Der Rauch schwärzte die Felswände.
Jene Stelle, an welcher die Frauen von den Felsen sprangen, heißt übrigens auch heute noch „Mädchensprung“.
Aber der Kampf war noch nicht zu Ende.
Damals gab es noch die ritterliche Regel, wenn Kriegerinnen oder Krieger im Kampf den Helm verloren, so hatten sie sich zu ergeben. Aber ihre Gegner durften auch nicht mit ihnen weiterkämpfen, denn es ist ja feige und nicht gerade ritterlich, mit einer ungeschützten und somit nicht mehr ebenbürtigen Person zu kämpfen.
In einem der Kämpfe verlor Vlasta ihren Helm. Schon stürmten sechs Krieger auf sie ein und hauten sie buchstäblich in Stücke. Dergleichen geschah immer und immer wieder. Am Ende verloren die Frauen alle Kämpfe, alle Rechte, allen Besitz. Und wie überall in der Welt das Recht zu Wählen oder selbst gewählt zu werden, denn der neue Gott hatte gesagt: „Das Weib schweige in der Versammlung!“.
Die Männer nahmen die Waffen der Frauen und keine Frau durfte mehr nach ihrem Gutdünken einen Liebhaber oder eine Liebhaberin wählen. Mit einer Frau zu schlafen und glücklich zu sein, darauf stand die Todesstrafe. Der neue Gott, dessen Oberpriester nie die Freuden der Liebe genossen hatte, verbot die Liebe. Es sollten nur mehr Frau und Mann beieinanderliegen und das auch nur, wenn sie Kinder zeugen wollten. Freude und Lust waren verboten.
Wer sich damals nicht taufen ließ, wurde in die Vlatava geworfen. Viele Frauen (und auch einige Männer) verweigerten den Dienst an diesem seltsamen, neuen Gott. Sie blieben ihrer alten Religion, ihren alten Göttinnen treu und starben lieber, als das Kreuz zu küssen.
So hatten die Frauen alles verloren – durch die Heimtücke und Hinterlist der Männer.
Literatur zum Weiterlesen:
Links im www:
(Admin: externe Links existieren nicht mehr)
Amazonen-Interessierten lege ich übrigens ganz besonders die Staatliche Antikensammlung (https://www.antike-am-koenigsplatz.mwn.de/index.php/de/staatliche-antikensammlungen) in München ans Herz - dort gibt es die meisten Amazonendarstellungen weltweit!
LG,
Dolasilla
Einst lebte Krok. Er führte das Land, das wir heute Böhmen nennen, und er hatte drei Töchter: Libussa, Kazi und Tjeta. Libussa war die jüngste, sie war sehr klug und alle wussten, dass sie nach dem Tod des alten Krok die Führung übernehmen würde. Alle Menschen im Land liebten sie sehr. Sie liebten auch die beiden Schwestern, denn Kazi war eine sehr gute Ärztin und Heilerin und Tjeta die oberste Priesterin im Tempel.
Libussa hatte auch die Gabe, in die Zukunft zu sehen und weiszusagen. Eines Tages stand sie mit einigen Getreuen oberhalb der Furt durch die Vlatava. Plötzlich hob sie die Hand und sprach: „Ich sehe goldene Dächer! Hier will ich meine Stadt begründen, Praha soll sie heißen, die Furt zur Glückseligkeit!“
So entstand die Stadt Prag.
Nun war es so, wer auf dem Thron nachfolgte, wählte sich eine zweite Person zum Mitregieren. Auch dies Person musste von allen Menschen im Land gewollt sein. Führte ein Frau, so wählte sie einen Mann. Führte ein Mann, so wählte der sich eine Frau.
Zu den damaligen Zeiten wählte auch jede Sippe eine Person - eine Frau oder einen Mann - aus ihrer Mitte zum Sprecher/zur Sprecherin. Die SprecherInnen aus vielen Sippen trafen sich wiederum einmal im Monat, besprachen Dinge, welche das ganze Tal angingen. Einmal im Jahr wurden SprecherInnen gewählt für die Großversammlung aller tschechischen Stämme. Auch Frauen waren dabei, als Richterinnen, Priesterinnen und Wahrsagerinnen.
Doch das änderte sich: insbesondere die adeligen Stände der Großversammlung hatten es in den letzten jahren mehr und mehr geschafft hatten, ihre Ämter, ähnlich dem von Krok, erblich zu machen. Einige von ihnen regierten bereits ohne Zustimmung der Versammlungen.
Die Herren aus den Ständen, besonders die Erbstände, bedrängten Libussa mehr und mehr, doch einen aus ihren Reihen zu wählen – was sie auf gar keinen Fall wollte.
Libussa sah ein, dass sie Hilfe brauchte. Sie hatte einen guten Freund, einen jungen Bauern, den sie oft besuchte. Der hatte ihr einst eine wunderschöne, rote Stute geschenkt. Sie beschloss, diesen klugen, landerfahrenen Mann aus dem Volk zu ihrem Mitregenten zu machen, denn sie spürte, dass sie ihn gern genug hatte, um auch hin und wieder des nachts bei ihm zu liegen und Kinder mit ihm zu zeugen.
Sie musste sich also einen Mann als Mitregenten suchen. Libussa, die erbliche Regentin, wählte einen Mann aus dem Volk, das war Premysl. Eigentlich wollte sie zwar keinen Mann, denn sie teilte ihr Lager mit Vlasta, der Anführerin ihrer Leibgarde, doch so waren nun mal die Gesetze.
So ging sie eines Tages zu ihrer Schwester, welche Priesterin war. Gemeinsam verkündeten die Schwestern dann den Willen der Götter (und Göttinnen): Derjenige Mann, vor dem die Stute das Knie beuge, der solle ihr Mitregent werden. Dann band sie die rote Stute los – und wie jedes Pferd lief auch diese zu ihrem heimischen Stall zurück – also zu Premysl.
So also wurde Premysl Libussas Mitregent und das Volk war sehr zufrieden.
Leider war Premysl später dann doch so keine große Hilfe, wie sie gehofft hatte. Doch zu zweit konnten sie anfangs den Erbständen erst einmal widerstehen, vor allen Dingen, weil das Volk sie liebte. Die Erbstände bekamen damals viel Unterstützung aus den westliche angrenzenden Ländern, die bereits zum Christentum übergetreten waren und dem Oberpriester in Italien (der Papst) huldigten. Die westlichen Länder brauchten ein starkes Land hinter ihren Grenzen, um drohende Gefahren aus dem Osten, zum Beispiel die Awaren, abzuhalten. Noch sicherer hätten sie sich gefühlt, wenn dieses Land ihren Gesetzen und ihrer Religion gefolgt wäre. Sie mochten Länder nicht, in denen Frauen regierten und schon gar nicht solche Länder, in denen Frauen Waffen trugen. Was reichlich dumm war, denn ohne Frauen gab es doch viel weniger kämpfende Leute gegen die Awaren! Vlasta, Libussas Gefährtin, war eine große Kämpferin und besiegte viele Awaren.
Mit Hilfe der Landversammlungen und der Großsippen konnten Libussa, Premysl und Vlasta den Erbständen widerstehen. Aber dann starb Libussa unerwarteterweise sehr jung. Premysl stand allein da und so nahm das Unglück seinen Lauf...
Von Rechts wegen hätte eigentlich Tjeta, die nächstältere Schwester Libussas, die Führung übernehmen sollen – aber gegen eine weitere, eigensinnige Tochter Kroks waren die Erbstände von vornherein. Sie wollten, dass Premysl eine Frau aus ihren Reihen nähme. Doch Premysl trauerte anfangs heftig um Libussa und für ihn war es eigentlich selbstverständlich, dass Vlasta nun die Führung übernehmen sollte, denn im Grunde genommen hatten sie ja bereits die ganze Zeit das Land zu dritt geführt.
Doch ehe Premysl seinen Wunsch öffentlich bekanntmachen konnte, kamen ihm die Erbstände zuvor. Sie erließen ein Gesetz, dass allen Frauen in Zukunft das Waffentragen verbieten sollte, außerdem die freie Wahl des Bettgenossen oder Bettgenossin und das Recht, in den Versammlungen zu wählen oder gewählt zu werden. Die böhmischen Frauen sollten also so werden wie die Frauen in den Westländern.
Dazu hatten die Frauen allerdings so gar keine Lust! Denn dann könnten die Männer ja machen, was sie wollten, ohne die Frauen zu fragen. Ein Aufschrei ging durch das Land. Die Frauen dachten überhaupt nicht daran, ihre Waffen und ihre Rechte abzugeben. Ganz im Gegenteil!
Vlasta begann mit der Leibwache Libussas zu trainieren. Bald strömten von überall her Frauen, vor allem sehr junge Frauen, ihrer Truppe zu. Deswegen wird dieser Krieg auch (reichlich herablassend!) „Krieg der Mädchen“ genannt.
Leider gab es überhaupt keinen Mann, der gegen diese dummen neuen Gesetze war: die Brüder, Söhne, Väter und Männer der Frauen fanden es gut, dass ihre Schwestern, Mütter und Gattinnen nichts mehr im Land zu sagen hatten - vielen kam das sehr gelegen! Die Männer konnten nun im Dorf, in der Sippe, in ihrem Haus – einfach überall - das Maul weit aufreißen. Sie hatten das Recht, über den gesamten Besitz zu verfügen.
Ohne die Brüder, Freunde, Gatten, Söhne und Väter der Frauen hätten die Erbstände niemals diese Gesetze erlassen können. Es waren die gewählten Männer, die die Frauen einst selber mit in die Großversammlungen gewählt hatten. Und zusammen mit den Erbständen waren sie mächtiger und warfen die Frauen aus den Versammlungen hinaus.
Zurück zu Vlasta, die die Frauen auf ihrer Burg Djewin, genau gegenüber der Burg Vyscherad (wo Premysl hockte), versammelte und mit ihnen das Waffengeschäft übte. Die Frauen sandten Botinnen an Premysl, die Erbstände und die Großversammlung und bedeuteten allen, dass sie keinesfalls gewillt wären, auf ihre Rechte zu verzichten. Doch statt einzulenken, begannen die Erbstände, die Männer im Lande einzuziehen. Jene Frauen, die noch auf ihren Höfen und Häusern geblieben waren, verboten ihren Brüdern, Männern und Söhnen, dem Aufruf der Erbstände zu folgen.
Die Männer, die begriffen, in welche Falle sie geraten waren, folgten zwar dem Ruf, ließen aber ihre Waffen zu Hause, denn sie konnten sich nicht vorstellen, gegen ihre Mütter, Schwestern, Töchter und Liebhaberinnen mit dem Schwert anzutreten!
Die Erbstände schäumten vor Wut. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie genügend Waffen auf ihren Burgen geschmiedet hatte, um alle eingerückten Männer neu zu bewaffnen. Inzwischen lief der Aufstand der Frauen durch das ganze Land. Weite Gebiete waren in den Händen von Vlasta und ihren Freundinnen. In diesen Gebieten wurden wieder die alten Gesetze und Sitten beachtet.
Und was machte Premysl die ganze Zeit?
Premysl war ein Musterbeispiel eines solchen Mannes, der sich vom Freund und Helfer der Frauen zu einem Feind und Vernichter wandelte. Wie übrigens viele von ihnen damals. Seine guten Seiten verwandelten sich unter dem Einfluss der Erbstände in schlechte. Seine Freude, weise und gut ein Land zu führen, so dass es allen Menschen (Frauen wie Männern) wohl darin erginge, wandelte sich in Gier und hemmungslosem Streben nach der Macht. Seine Gutmütigkeit, seine Sanftheit wurde gegenüber den Erbständen zur Unbeständigkeit. Wie ein Blatt im Winde ließ er sich von ihnen hin und her wehen – gerade so, wie es den Erbständen gefiel.
Kurz überlegte er wohl, ob er sich nicht auf Vlastas Seite schlagen wollte. Er bot ihr das halbe Reich an und wollte, dass sie seinen Sohn als Mitregenten annähme. Doch inzwischen waren die Dinge so weit zum Unguten gediehen, dass sie es ablehnte, mit diesem Schwächling, der ihr ja kaum gegen die Erbstände hätte beistehen können, oder gar mit seinem noch bartlosen Sohn zusammen das Land zu führen. Außerdem liebte sie es noch viel weniger als Libussa, bei Männern zu liegen.
Nun, die Erbstände und ihre verbündeten Männer konnten die Frauen nicht besiegen. Dazu waren es einfach zu viele Frauen und so mancher Krieger war doch nur halb bei der Sache. Also gab es wieder mal Verhandlungen. Vlasta sandte eine Abordnung von fünfzig unbewaffneten Frauen hinüber zum Hradschin, wo die Erbstände regierten. Diese hatten ihnen freies Geleit und freien Abzug zugesagt. Die Verhandlungen verliefen – scheinbar – ganz ruhig. Die Erbstände gaben ein Essen und Premysl überschlug sich vor Freundlichkeit.
Plötzlich stürmten weit über hundert bewaffnete Männer den Saal, in dem die Unterhändlerinnen mit Premysl und den Erbständen speisten. Die (unbewaffneten!) Frauen wurden niedergemetztelt (was für eine „Heldentat“!), ihre Leichen den Hang in die Vlatava hinuntergeworfen. Wenige Zeit später trieben sie am Djewin vorbei und das Wasser war rot von ihrem Blut.
Die Erbstände brachen jedes Recht. Wer sich auflehnte, wurde von ihren willfährigen Anhängern hinterrücks ermordet. Einer von den Schlimmsten war Cztirad – er war es auch, der die Ermordung der Unterhändlerinnen angeführt hatte. Vlasta und die Frauen heckten einen Plan aus. Sie wussten, dass Cztirad nach dem Mord an den Frauen wohl erst mal nach Hause, auf seine Burg, reiten würde – wohlbelohnt von Premyls und seinen Erbständen.
Der Weg führte ihn durch das schöne Tal (das ist das Scharka-Tal), welches sich nordwärts von Prag hinzieht. Die Späherinnen berichteten den anderen Frauen, wann er auf den Hradschin abziehen würde. Vlasta und ihre zahlreichen Freundinnen verbargen sich in den Felsen beiderseits der engen Schlucht, durch die sein Weg führen musste. Eine der Frauen ließ sich in zerrissenen Kleidern und mit dunkelroter Schneckenfarbe angemalt an einen Baum binden. Als sie Cztirads Truppen heranreiten hörte, begann sie laut zu lamentieren und zu jammern und weinen. Dazu muss man noch wissen, Cztirad verachtete Frauen, er trat sie mit Füßen, und prahlte mit seinem Ausspruch, dass ein Mann mit Frauen nur schlafen solle, aber nicht reden. Und am meisten hasste er Frauen, die Männer als Bettgenossen ablehnten und sich lieber mit Frauen vergnügten – über die sagte er, solchen fehle einfach nur der richtige Mann, ein Bulle im Bett – so wie er einer war.
Als er die Frau im Baum hängen sah, witterte er ein leichtes Opfer – sofort sprang er vom Pferd, um sie zu „retten“. Die Frau spielte ihm ordentlich was vor: händeringend und weinend bat sie ihn um Befreiung und machte ihm deutlich, dass sie ihm gerne zu Diensten wäre, wenn er sie befreien würde.
Cztirad witterte eine „fröhliche“ Nacht mit ihr und befahl seinem Trupp, abzusitzen, ein Zelt zu errichten, Wein und Bier und Speisen aufzutragen.
Bald aßen und tranken alle Männer. Cztirad soff wie ein Fass, die Frau jedoch schüttete den Wein heimlich in den Bach. Czitrad rückte ihr immer näher – doch dann kam endlich die Dunkelheit! Auf ein verabredetes Zeichen hin stürmten und sprangen die Frauen von den Felswänden herab, hinter den Büschen und Steinhaufen hervor und töteten alle Männer, die da betrunken herumlagen. Cztirads Kopf sandten sie zurück auf den Hradschin und seine Männer verbrannten sie am nächsten Morgen in einem großen Feuer, die Asche streuten sie ins Wasser. Der Rauch schwärzte die Felswände.
Jene Stelle, an welcher die Frauen von den Felsen sprangen, heißt übrigens auch heute noch „Mädchensprung“.
Aber der Kampf war noch nicht zu Ende.
Damals gab es noch die ritterliche Regel, wenn Kriegerinnen oder Krieger im Kampf den Helm verloren, so hatten sie sich zu ergeben. Aber ihre Gegner durften auch nicht mit ihnen weiterkämpfen, denn es ist ja feige und nicht gerade ritterlich, mit einer ungeschützten und somit nicht mehr ebenbürtigen Person zu kämpfen.
In einem der Kämpfe verlor Vlasta ihren Helm. Schon stürmten sechs Krieger auf sie ein und hauten sie buchstäblich in Stücke. Dergleichen geschah immer und immer wieder. Am Ende verloren die Frauen alle Kämpfe, alle Rechte, allen Besitz. Und wie überall in der Welt das Recht zu Wählen oder selbst gewählt zu werden, denn der neue Gott hatte gesagt: „Das Weib schweige in der Versammlung!“.
Die Männer nahmen die Waffen der Frauen und keine Frau durfte mehr nach ihrem Gutdünken einen Liebhaber oder eine Liebhaberin wählen. Mit einer Frau zu schlafen und glücklich zu sein, darauf stand die Todesstrafe. Der neue Gott, dessen Oberpriester nie die Freuden der Liebe genossen hatte, verbot die Liebe. Es sollten nur mehr Frau und Mann beieinanderliegen und das auch nur, wenn sie Kinder zeugen wollten. Freude und Lust waren verboten.
Wer sich damals nicht taufen ließ, wurde in die Vlatava geworfen. Viele Frauen (und auch einige Männer) verweigerten den Dienst an diesem seltsamen, neuen Gott. Sie blieben ihrer alten Religion, ihren alten Göttinnen treu und starben lieber, als das Kreuz zu küssen.
So hatten die Frauen alles verloren – durch die Heimtücke und Hinterlist der Männer.
Literatur zum Weiterlesen:
- Pierre Samuel: Amazonen, Kriegerinnen und Kraftfrauen, Trikont Verlag, München 1979 (Über die böhmischen Mädchenkriege: siehe S. 47 ff)
- Magliane Samasow: ...und sie haben sich immer gewehrt!, Edition nebenan, 1997 (Über die böhmischen Mädchenkriege: siehe S. 51 ff). Weite Teile dieses Textes stammen aus diesem Buch.
- Sir Galahad (= Bertha Eckstein-Diener): Mütter und Amazonen, Ullstein Verlag, Frankfurt/Berlin, 1987 (Neuausgabe)
- Manfred Hammes: Die Amazonen, S.Fischer Verlag, Frankfurt 1981
- Gerhard Pöllauer: Die verlorene Geschichte der Amazonen, Verlag EBOOKS.AT, Klagenfurt 2002
Links im www:
(Admin: externe Links existieren nicht mehr)
Amazonen-Interessierten lege ich übrigens ganz besonders die Staatliche Antikensammlung (https://www.antike-am-koenigsplatz.mwn.de/index.php/de/staatliche-antikensammlungen) in München ans Herz - dort gibt es die meisten Amazonendarstellungen weltweit!
LG,
Dolasilla
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