Es scheint beinahe, als könnte es da ein Problem geben: Die Fabel ist bekannt, nur die Quelle…?
Vielleicht rührt daher auch das Schweigen der Kenner.
Zum eigenen Spaß habe ich daher ein Stündchen geblättert und ein weiteres im Internet recherchiert, vulgo „gegooglet“. (Weil für nahezu alles, was ich schriftlich gefunden habe, auch gleich aussagekräftige Quellen im Netz zu finden sind, zitiere ich im weiteren der Bequemlichkeit halber nur diese.)
Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte von Frosch und Skorpion von Aufbau und Tierwelt her so schön antik, daß sie – wie ich staunend gesehen habe - selbst in eine Facharbeit zum Versicherungsvertragsgesetz als Werk Aesops Eingang gefunden hat:
(Admin: externer Link existiert nicht mehr) (S. 2 mit Anm. 9).
Nur – bei Aesop kommt sie nicht vor und auch den anderen antiken Fabeldichtern ist das Motiv unbekannt (der Skorpion genießt allerdings auch in der Antike schon einen schlechten Ruf).
Alt ist sie trotzdem und hat eine bemerkenswerte Entwicklung, denn der arme, wehrlose Frosch kommt zunächst gar nicht vor, wie zwei ältere Fassungen der Fabel zeigen:
Zum ersten die von der
Schildkröte und dem Skorpion, wo den Skorpion die Lust zur bösen Tat zwar auch anwandelt, der Giftstachel aber am Panzer der Schildkröte scheitert und der Skorpion zugrunde geht, weil die Schildkröte untertaucht und ihm so den Tod durch Ertrinken bereitet (so bei Anna Luisa Karschin (1722 – 1791) in dem Gedicht „Der Skorpion, die Schildkröte und die Gans“; vgl. (Admin: externer Link existiert nicht mehr).
Die zweite einschlägige Variante in der Fassung einer auf Indisches zurückgehenden Fabelsammlung hat auch die Schildkröte statt des Frosches, nur wird hier nicht klar ausgesprochen, wer überlebt (F.A.L. Matthaei (Hg.), Weisheit der Indier in Fabeln (1826), vgl. (Admin: externer Link existiert nicht mehr).
Weil aber ein Schildkrötenpanzer für einen Skorpionstachel immer schwer zu durchdringen sein dürfte, ist anzunehmen, daß auch hier letztendlich der Bösewicht scheitern wird.
Den Wechsel von der wohlgepanzerten Schildkröte zum Frosch, welcher der Attacke wehrlos gegenübersteht, und damit die Umkehrung der Aussage unserer Fabel kann ich in alten Quellen nicht finden, aber die indische, ins Persische und Arabische übersetzte und vielfältig in Europa rezipierte Fabelsammlung dürfte doch der Ausgangspunkt für alle Schildkröten-/Kröten-/Frösche-Skorpion-Fabeln sein.
Auch das von Dir zitierte Motiv, daß der Skorpion
Angst bekomme und deswegen steche, kann ich nirgends finden. Die heute geläufigste Form, die sich z. B. auch für politische Anspielungen am ehesten anbietet, ist die, daß er ohne explixit genanntes Motiv steche und auf die Frage, warum er das denn – zu beiderseitigem Untergange! – tue, antworte, das sei so seine Natur und er könne nun einmal nicht anders.
Verantwortlich für die Beliebtheit der Fabel in dieser Form mit dem bösen Ende für Skorpion und Frosch scheint hauptsächlich Orson Wells zu sein, der sie in „Mr. Arkadin“ erwähnt (z. B.
https://www.hausarbeiten.de/document/18816).
Im Internet zirkuliert sie mit allen möglichen Herkunftsangaben, die ich z. T. nicht leicht glauben kann, z.B. als „nach einer irischen Fabel“ mit typisch irischem (??) Breitmaulfrosch u.s.w. (Admin: externer Link existiert nicht mehr).
Wahrscheinlich hat die – in manchen Fällen wirklich kaum abzuweisende – Vorstellung, daß bestimmte politische Kräfte wider jede Vernunft aus reinem „instinktiven“ Zerstörungswillen zu handeln scheinen, sehr zur Beliebtheit der Fabel im politischen Diskurs beigetragen.
Dieser Tatsache verdankt sie auch eine schon fast klassisch anmutende lateinische Fassung und vielleicht auch die poetische Gestaltung im Französischen:
Olim erat scorpio, qui flumen Iordanem transire volebat. Evenit, ut ranam ibi conveniret. Scorpio petivit: “Tranata, sodes, flumen, ut ego in tuo tergo siccis pedibus in alteram ripam perveniam.” Rana respondit: “Id fieri non poterit, nam si te in tergum accepero, tu me punges et ego veneno tuo moriar.” Tum scorpio obtestatus est: ”Id haudquaquam faciam, non sum tam stultus. Nam si tu mortua eris, ego quoque in aquam immersus peribo. Ideo tibi promitto me nihil mali tibi facturum esse.” Re deliberata, rana rationem scorpionis probavit. Flumen Iordanem transire coeperunt. Medio flumine scorpio ranam vehementer pupugit. In articulo mortis rana scorpionem asperrimis verbis accusavit eumque de data fide commonuit: “Tu promisisti te nihil mali mihi facturum esse!” Scorpio respondit: “Sed nos sumus in Proximo Oriente.”
(
http://www.progettovidio.it/latinocronaca24.asp nach den
nuntii latini des finnischen Radios: (Admin: externer Link existiert nicht mehr))
LE SCORPION ET LA GRENOUILLE
Un scorpion hésitait au bord d'une rivière
Car il était curieux de la rive au-delà.
Une grenouille verte qui passait par là
Fut aussitôt l'objet d'une ardente prière.
Passe-moi, je te prie, sur la rive opposée
Et je n'userai pas de mon bel aiguillon:
Je veux pouvoir scruter de nouveaux horizons
La profondeur de l'eau m'empêche de passer.
Le batracien pensa : suis-je bête d'avoir peur
Me piquant sur mon dos, il serait condamné.
"Je veux bien, lui dit-elle aussitôt, t'emmener;
J'espère cependant ne pas faire d'erreur."
Et les voilà partis sur l'onde frémissante.
Au beau milieu du cours, tout à coup le scorpion
Injecte son venin à la bête accueillante
Qui commence à couler dans un lent tourbillon.
"Pourquoi as-tu fait ça, dit la grenouille en pleurs,
Nous mourrons tous les deux: es-tu fou à lier ?
L'insecte malfaisant ne put que répliquer :
"Piquer est ma nature, le reste n'est qu'un leurre."
Chacun de nous, ici, ne fait qu'exécuter
Ce pourquoi il est fait, qu'il soit bon ou méchant
Rien ne pourra changer la nature des gens
En pensant le contraire tu pourrais te tromper.
(
https://www.algerie-dz.com/forums/village/814-réincarnation?p=499536#post499536)
Im Sinne der politischen Neutralität, die diesem Forum sinnvollerweise nahe liegen sollte, verzichte ich darauf, mich zu möglichen weiteren politischen Implikationen der Fabel zu äußern und verweise auf zweierlei anderes:
1. eine originelle Weiterführung der Fabel ins Wissenschaftstheoretische:
“A Scorpion begged a Frog to carry him across the river because he could not swim. The Frog hesitated for fearing being stung by the Scorpion. The Scorpion said: "Don't worry, you know I won't sting you since we will both get drowned if I do that". So the Frog carried Scorpion across the river. But in the middle of the river, it happened--the Frog got a sting. Before he died, the Frog asked Scorpion in disbelief: "I don't understand why you did this!?" "Because I am not a game theorist and you are", replied the Scorpion. (Contributed by Ding Lu)” (Admin: externer Link existiert nicht mehr)
2. die Tatsache, dass eine Seefahrt auf der Schildkröte oder einem Frosch auch anders ausgehen kann, wie die Fabeln von Frosch und Maus (wirklich von Aesop!) oder von Schildkröte und Affe zeigen:
(Admin: externer Link existiert nicht mehr)
(Admin: externer Link existiert nicht mehr) (der Abschnitt: „Ez wolte ein affe über einen sê“); Motivvergleiche mit z. T. deutlich besserer literarischer Durchgestaltung: (Admin: externer Link existiert nicht mehr)
Und damit freundliche Grüße und einen schönen Abend
D.F.