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Ein Weberschiffchen aus dem Waldviertel

Hermann Maurer

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Vor vielen Jahren erhielt ich das hier abgebildete Weberschiffchen. Es stammt von einem Einschichthof des Oberrosenauerwaldes, Bezirk Zwettl (niederösterreichisches Waldviertel).
Das Objekt fällt vor allem wegen seiner Verzierung auf! Angeblich handelt es sich dabei um eine symbolische Darstellung des Männlichen und Weiblichen?

Weberschiffchen (Länge 21,3 cm) in Sammlung Prof. Hermann Maurer, Horn.
 

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Über das Alter kann ich nichts aussagen! Aber das Stück könnte ohne weiteres aus dem 18. oder 19. Jahrhundert stammen! Die archaisch wirkende Verzierung hat in dieser Gegend nicht viel zu sagen, hier wurde immer viel tradiert! Und dass die Weberei in diesem Teil des Waldviertels seit alters betrieben wurde, ist auch bekannt. Ob das Stück allerdings von einem Waldviertler Handwerker selbst geschnitzt wurde oder ob es durch den Handel seinerzeit in die Gegend gekommen ist, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls hab ich es von der "Freundschaft" erhalten. Die Weberei wurde in der Zwettler Gegend schon vor Jahrzehnten aufgegeben und daher wurde auch dieses Gerät nicht mehr benützt bzw. benötigt!
 
Ich hab das eben der Verzierung wegen gemeint, denn gerade das Motiv dürfte hier aus einigen Gründen etwas unüblich gewesen sein. Die einfache Klarheit der Bilder haben sich wahrscheinlich auf Gebrauchsgegenständen immer angeboten. Ein schönes Stück.
 
Das sieht mir auch nach einem etwas älteren Exemplar aus (so um das 17./18. Jh.). Diese Weberschiffchen wurden hauptsächlich bei Handwebstühlen benutzt und diese wurden im 19.Jh. zunehmend von Webstühlen ersetzt, die mit Webschützen bedient worden sind.

Andererseits kommen noch heute solche Weberschiffchen- Exemplare in ärmeren Ländern vor, wo das Handwerk des Handwebens noch praktiziert wird. Also muss es nicht zwangsläufig alt sein.

Die Verzierung ist mir rätselhaft, jedoch sieht die untere Verzierung wie der Umriss eines Tierfells aus.
Vielleicht wurde dieses Weberschiffchen bei der Tierfellverarbeitung oder ähnlichem tierischem Textilhandwerk benutzt.

Andererseits wurden auch Tiermotive gewoben, vielleicht hat dies etwas damit zu tun.
 
Hm,
hm hm ...

achwas, ich schreib einfach was ich mir denke:

In das Schiffchen ist ein Stab eingearbeitet, der einerseits in eine Bohrung eingesteckt zu sein scheint, am anderen Ende in einer Vertiefung liegt ... ich kenne die Bedienung dieses Weberschiffchen nicht - aber kann/muß dieser Stab aus der Vertiefung herausgehoben und sodann aus der Bohrung genommen werden?
Wenn ja, dann würde dies die Gefahr eines "Verhängens" beim Durchschuß in falscher Richtung bedeuten, wenn sich ein Faden verhängt und den Stab hochzerrt ...
DANN könnte die Verzierung auf eine geschmackvolle Art einfach die richtige Handhabungsrichtung andeuten: Vorne ist eine Pfeilspitze und hinten - mittels Tierfellsymbol mit dickem (Wildkatzen oder Waschbär? = Herkunftshinweis?) Schwanz unschwer das hintere Ende eines gefiederten Pfeils symbolisiert ...

Gute Idee? Schlechte Idee? ... jedenfalls praktische Idee ....

LieGrü
Norbert
 
Bei Handwebstühlen war diese einfache Art der Weberschiffchen in abgelegenen ländlichen Gegenden bis in das 19. Jahrhundert durchaus üblich. Man kann dies auch an zahlreichen Beispielen sehen. Über die Funktionstüchtigkeit kann es daher keine Diskussion geben. Diese wurde durch die Praxis hinlänglich bewiesen.
Wie bei der Vorstellung des Objektes bereits vermittelt, dürfte es sich bei der in Kerbschnitttechnik hergestellten Verzierung um die symbolhafte Darstellung des Männlichen und Weiblichen handeln. Dargestellt wurde an einem Ende des Stückes die Vulva und am anderen Ende eine menschliche Gestalt (wohl ein Mann). Beide sind durch das Stäbchen verbunden. Wenn man diesem die Funktion eines Penises zugesteht, liegt somit eine Koitusdarstellung vor. In der Praxis wird diese durch die Funktion des Weberschiffchens, welches bei der Arbeit hin und her bewegt wird, noch zusätzlich unterstützt.
Werke der religiösen Volkskunst sind jedem bekannt, Werke der erotischen Volkskunst dagegen werden nur ganz selten besprochen. Dieses Thema war nicht nur früher verpönt. es dürfte es auch heute noch sehr oft sein.
Kerbschnittverzierungen sind in der Volkskunst nicht selten, man denke nur an die Buttermodel oder an Hornschnitzereien. Ob diese erotische Darstellung originell ist oder eher auf irgend eine Vorlage zurückgeht, läßt sich nicht so ohne weiteres beurteilen. Zentren der Holzkunsterzeugung, wie beispielsweise solche im Erzgebirge, haben neben den bekannten Produkten auch erotische Objekte produziert. Diese scheinen allerdings in den veröffentlichten Verkaufskatalogen meines Wissens nicht auf. Die Darstellung in abstrahierter Form sollte wohl bewirken, dass nicht jedem Betrachter ein sofortiger geistiger Zugang möglich ist.
 
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Was heute abstrakt heißt, war vermutlich die Urform der Grafik, auch auf Grund der Möglichkeiten der Werkzeuge und der Unterlage Stein, alles andere blieb nicht erhalten. Glaube ich halt, der Archäologe weiß, ob es stimmt.
Das war meine erste Reaktion: dass es erstaunlich für die Gegend - das christliche Abendland - oder sehr alt ist. Abstraktion als Tarnung?
Irgendwie funktioniert es ja.
 
Bei der urzeitlichen Kunst braucht man beispielsweise nur an die bekannten Höhlenmalereien der Altsteinzeit denken, wo es jede Menge an Symbolen verschiedenster Art gibt.
Für die jüngere Steinzeit liegen ebenfalls solche Nachweise vor, da allerdings auf Objekten aus gebranntem Ton erhalten oder überhaupt aus Ton gestaltet..
Ich möchte für Niederösterreich auf folgende Literatur diesbezüglich hinweisen:
Hermann Maurer, Steinzeitlicher Kult. Ein Beitrag zur Interpretation des niederösterreichischen Fundbestandes. Horner Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 7/8, 1983-1984, Horn 1983. S. 7ff.
Hermann Maurer, Archäologische Zeugnisse religiöser Vorstellungen und Praktiken der frühen und mittleren Jungsteinzeit in Niederösterreich. Katalog IDOLE, Kunst und Kult im Waldviertel vor 7000 Jahren. Horn 1998, S. 23ff.

Symbolhafte und auch erotische Darstellungen sind bereits für die Frühphase der menschlichen Kultur nachgewiesen. Diese Darstellungsmöglichkeiten ziehen sich durch die ganze menschliche Geschichte und sind immer wieder aufzufinden. Ihr geistiger Hintergrund ist uns Jetztmenschen aber meist verschlossen!
 
Symbolhafte und auch erotische Darstellungen sind bereits für die Frühphase der menschlichen Kultur nachgewiesen. Diese Darstellungsmöglichkeiten ziehen sich durch die ganze menschliche Geschichte und sind immer wieder aufzufinden. Ihr geistiger Hintergrund ist uns Jetztmenschen aber meist verschlossen!
Darstellung von Sexualität war früher selbstverständlich, ist es doch die natürlichste Sache der Welt.
Als Beispiele seien die Plastiken an der Westfassade des Wiener Stephansdoms und in der Kirche von Kleinzwettl genannt.
Leider wurden die meisten dieser Darstellungen später entfernt. Man denke nur an die "Höschenmaler", welche die Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle "korigiert" haben.
 
Ja, für uns Menschen des 20. Jahrhunderts ist das jetzt die natürlichste Sache der Welt! Aber gar so lange ist das auch nicht her, dass dem so ist! Und auch in den vergangenen Jahrhunderten hat es immer wieder ganz gegensätzliche vorherrschende Meinungen zum Thema gegeben!
Mittelalterliche "obszöne" Darstellungen (es gibt davon eine ganze Menge) können wir zwar interpretieren, der tatsächliche geistige Hintergrund solcher Darstellungen ist für uns aber nicht sicher zu erschließen!
 
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