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Das Steyr Waffenrad

cerambyx

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Ich hab gestern Abend - hochgradig animiert durch Volkers Frage - begonnen, einiges zusammenzuschreiben übers Waffenrad ...

Zum allgemeinen Einlesen und zur Erläuterung des Namens erstmal ein Bild:


Ich selber werde hier in einigen Etappen meine zusammengeklaubten Erinnerungen so ca. ab 1956 (da war ich vier Jahre alt) - bis 1968 (da erhielt ich mein erstes eigenes Rad Marke "Steyr Jungmeister Super mit 3-Gang-Getriebe) zum Besten geben - ob's interessant ist, könnt Ihr ja dann entscheiden.
Ich werde auch versuchen, Bilder zu machen von mir heute noch bekannten Waffenrädern, und auch "rund ums Waffenrad" - wie Werkzeuge, Infrastruktur usw. In einer Bildergalerie "Rund ums Waffenrad" könnt ihr dann die dazugehörigen Bilder finden.
Sollte es noch andere Bilderlieferanten zu diesem Thema geben, könnte - bei Gefallen - Wolfgang eine allgemein zugängliche Bildergalerie eröffnen und dann einfach meine Bilder rüberschieben ...
Und vielleicht steuern auch noch andere Ihre Erinnerung und Ihr Wissen bei und wir könnten so eine "gemeinsame Erzählung" als geschlossenen Text erarbeiten?
Also nun ans Werk ...
 
So erlebte ich „Das Waffenrad“ – so erlebte das Waffenrad MICH !

Es war ein altes, schwarzes Rad mit stämmigem Rahmen. Ein Herrenrad, gebaut um auszuhalten, durchzuhalten, jede Strapaze, die einem Rad von einem Besitzer in der damaligen Zeit – also so um 1956 – zugemutet wurde: Auf schlammigen Karrenfurchen, steinigen abschüssigen Straßen oder wegen der querliegenden Baumurzeln holprigen Waldpfaden fuhren damals die Menschen – nur unsere Straßen in der „Münichholz-Siedlung“ waren betoniert – schließlich war es eine Muster-Arbeitersiedlung des Herrn Göring.

Die Lenkstange, liebevoll und um die Weltgewandtheit des stolzen Fahrers zu untermauern „Balanz“ genannt, aus massivem verchromtem Eisenrohr, von der Mitte elegant leicht nach oben, dann entschlossen nach hinten geschwungen, um ein aufrechtes Sitzen zu gewährleisten. Gemütlich zumindest bei der Geradeausfahrt – in den Kurven geriet man leicht in Schwierigkeiten mit dem Knie, wenn man groß gewachsen war …. Die Griffe waren aus zweierlei Material: die alten Räder hatten gedrechselte Holzgriffe mit Rillen – es war ein Vertrauensbeweis meines Vaters, wenn ich diese Rillen vom angesammelten Staub und fettigen Schmutz mit einer Nadel reinigen durfte. Die neuen Räder meiner Brüder, deren Anschaffung ich schon miterleben durfte, hatten hingegen schon Gummigriffe – kein Plastik oder Kunststoff, denn soweit war die Entwicklung noch nicht! Meine Brüder wurden nicht müde, die Vorteile dieser neuzeitlichen Griffe anzupreisen und zu erklären – ich horchte aufmerksam zu und durfte so manchmal auch einmal hingreifen, um dann bestätigend zu nicken: ja, sie „klebten“ förmlich in den Händen, und ja, damit lenkte man viel viel sicherer in die Kurven, und ja, damit könne man sich viel besser abstützen beim Bremsen … Dabei wusste ich weder, wieso man eigentlich Kurven fahren sollte oder was eine Bremse denn eigentlich sei. Mein Tretroller war ja nur ein Eisengestell mit T-förmigem Lenker ohne Griffe (waren da überhaupt jemals welche?) und vollen Blechrädern mit einem abgefahrenen Gummiring rundherum, der kaum das Poltern vermeiden half …. Von Bremsen und Lenken war daher niemals die Rede und die Bedeutung der Worte also praktisch unbekannt!

Die Bremse war ein dem Schwung der „Balanz“ folgender Metallhebel aus Rundstahl, gelagert etwa in der Mitte seiner Länge, und daher brauchte man Fingerkraft, um gegen die Spiralfeder anzukommen, die das Ganze in Grundstellung hielt. Mit dem anderen Ende des Hebels wurde eine Stange nach unten gedrückt, auf welcher wieder am Ende ein viereckiger, schwarzer Gummibacken montiert war. Dieser Gummibacken wurde direkt auf das grobe Profil des Vorderreifens gedrückt – was bei sausender Bergabfahrt ein heulendes, sausendes, wenn der Bremsklotz schon abgeschliffen war, sogar ein pfeifendes Geräusch erzeugte, das so durchdringend und charakteristisch war, dass Frauen und Mütter entsetzt sich umschauten nach dem verantwortungslosen jugendlichen Raser. Ältere Männer und alle Frauen waren ja gerademal in doppeltem Schritttempo unterwegs …. Übermütige Burschen liefen manchmal sogar eine Weile nebenher …

Auf der „Balanz“ war auch eine dicke, behäbig klingende Glocke befestigt. Oben am abschraubbaren Deckel war das Firmenemblem eingeprägt. Ich kann mich auch an ein farbiges Firmenemblem der Firma „Steyr Puch“ erinnern, weiß aber nicht ob das Original war. Übrigens war dieses Emblem auch vorne an der Lenksäule oberhalb des Lichtes und hinten am Kotflügel angebracht.

(Fortsetzung folgt ...)
 
cerambyx schrieb:
... Ich kann mich auch an ein farbiges Firmenemblem der Firma „Steyr Puch“ erinnern, weiß aber nicht ob das Original war. Übrigens war dieses Emblem auch vorne an der Lenksäule oberhalb des Lichtes und hinten am Kotflügel angebracht ...

Das war die Konkurrenz aus Graz. Johann Puch wurde lernte das Schlosserhandwerk im südsteirichen Radkersburg.
Das "echte" Waffenrad wurde Ende des 19. Jhdts von der Österreichischen Waffenfabrik in Steyr/Oberösterreich nach englischen Vorbildern entwickelt. Der Name des Rades leitet sich auch vom Firmennamen ab und nicht, wie man meinen möchte, von der Verwendung beim Militär.
 

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Hallo Norbert,
danke für die Info.
Soll mich mal einer fragen was ein Waffenrad ist. Dem geb ich's.
Ich glaub das war eine Bildungslücke. ich Depp i
Dank deiner sehr guten Infos ist die erst mal geschlossen.
Mir gefallen die Räder sehr gut. Sie haben eine zeitlosen Reiz.

Das Ding ist "Kult" !
(Das Fahrgefühl würd mich schon reizen.)

Grüße Volker
 
Teil 2: So erlebte ich „Das Waffenrad“ – so erlebte das Waffenrad MICH !

Es gab ein Herren- und auch ein Damenrad. Die Herrenräder hatten diese waagrechte Stange, die den Rahmen so versteifte, dass auch Gewaltakte möglich waren. Die Damenräder hatten zwar auch eine zusätzliche Stange, aber die lief parallel schräg nach unten zur Tretkurbel, sodass mit Kleidern ein Aufsteigen und Fahren möglich wurde, ohne „unschicklich“ die Beine vorne hochheben zu müssen oder gar – o Unzucht – wie die jungen Herren das Bein hinten über den Gepäcksträger („Packltrager“) zu schwingen, um das Bein schließlich aufs zweite Pedal setzen zu können.

Der Sitz war aus braunem Leder, geschwungen ausgeführt und die breite Sitzfläche ließ auch Matronen wie auf einem Thron wirken. Zwei mächtige spindelförmige Spiralfedern hinten ließen Fahrer aller Gewichtsklassen leicht aussehen … an diesen Spiralfedern war mittels eines starken Lederbandes eine ebenfalls lederne Werkzeugtasche angebracht. Spätere Modelle hatten sogar schon direkt am Sattel zwei Löcher, durch die diese Lederbänder liefen.

Der massive Gepäcksträger mit dicken Stangen und einem wuchtig gebauten Klemmbügel trug jede Last. Kartoffeln oder auch Kohlen im Sack wurden aufgebunden – das mögliche Gewicht der Ladung richtete sich einfach nach dem Nachgeben des prall gefüllten Fahrradschlauches. Ich kann mich nur einmal an einen geplatzten Reifen erinnern, der dafür in der Lautstärke einem Kanonenschuss gleichkam! Allerdings hatte hier der schon ältere Fahrer Alteisen in Form von U-förmig gebogenen Stanzabfällen befördert – durch die dadurch optimal am Gepäcksträger aufzuhängende Form wurde der Besitzer zum Überladen verleitet, was aber auf der ebenen Straße lange gutging. Kaum abgebogen in die nicht befestigte Zufahrt zum Alteisenhändler wurde der erste größere Stein zum Verhängnis. Es ist mir damals nicht gelungen das Alteisen von den Radteilen zu unterscheiden, war aber ohnehin von dem vielen geflossenen Blut abgelenkt …

Der hintere Kotflügel des Damenrades – heute würde man sagen „des Damenmodells“ – hatte an der äußeren Kante des Kotflügels ca. alle 3 cm ein Loch! Und in jedem Loch war eine Gummischnur (mittels kleinem Federkarabiner, wenn mich nicht alles täuscht) eingehängt. Diese Schnüre liefen einen Fächer formend in Richtung Hinterachse, wo sie – wahrscheinlich an einem Ring – wieder befestigt waren. Die Funktion dieses aus Schnüren gebildeten Fächers war damals jedem klar: es verhinderte, dass die sittsam langen Röcke der weiblichen Radfahrerinnen in die Speichen gezogen wurden!

Das Rücklicht war anfangs ein roter, kreisrunder Reflektor. Erst zu „meiner“ Zeit, also etwa um 1960, musste auch hinten elektrisch beleuchtet werden! Der massige Dynamo, der an der vorderen Gabel seitlich befestigt war, schaffte das ganz leicht, nachdem die Verkabelung mit schwarzem Klebeband oder Isolierband aus mit einer seltsam riechenden Flüssigkeit getränktem Leinen befestigt war. Dieser Dynamo wurde mittels kräftigem Druck mit dem Daumen auf einen nach hinten herausragenden Knopf durch eine Feder zum Radmantel geschwenkt. Während der Fahrt war dies nicht ungefährlich, was zahlreiche Fingerverletzungen durch den Kontakt mit den am Dynamo vorbeirasenden, ebenfalls sehr massiven Speichen, zeigten.

(Fortsetzung folgt ...)
 
Zuletzt bearbeitet:
Teil 3: So erlebte ich „Das Waffenrad“ – so erlebte das Waffenrad MICH !

Es gab die preiswerte Variante und die Luxusvariante des Rades: Luxus war der Kettenschutz! Manche wurden aber abmontiert, weil er zwar das Verschmutzen der Hosenbeine an der fettgetränkten Kette verhinderte, dafür aber ebendieses Hosenbein zerriss. Weil ja die Hosen damals weit geschnitten waren und mit einer „Stulpe“ versehen um die Beine schlotterten. Diese wieder oftmals zwischen Tretkurbel und Kettenschutz an dort befindlichen Schraubenköpfen hängenblieben und durch die Hebelkraft zerfetzt wurden – wenn das Material nachgab! Es gab auch die Variante, dass das Hosenbein sich um die Tretkurbel wickelte und der Radler nur mehr mit Hilfe von Passanten die unfreiwillige Knebelung seines Beines wieder aufheben konnte! Es gab zwei erprobte Methoden, die Hosen wirkungsvoll zu schützen: Eigene Hosenklammern aus Metall waren die teure Variante: das Hosenbein wurde um den Knöchel angezogen, der überstehende Stoff außen mit der Klammer fixiert. Die Arme-Leute-Lösung war – eine Wäscheklammer! Ihr denkt jetzt sicher an eine Wäscheklammer mit zwei Hebeln und einer Feder in der Mitte wie wir sie heute überall in 50er-Päckchen kaufen und verlieren? Weit gefehlt ! Viel zu teuer ! Ein rechteckiges Holzbrettchen mit ca. 5mm Dicke und einem eingeschnittenen Schlitz – DAS war die Arme-Leute-Lösung! Aber es ging noch billiger: Die Ganz-Arme-Leute-Lösung bestand aus einem runden Aststück aus Hartholz mit eingesägtem Schlitz …

Sehr ausgeklügelt war die Übersetzung von Tretkurbel zu Hinterradantrieb! Jedermann konnte die optimale Kraft aufwenden und seine Geschwindigkeit wählen. Man sah alte Herren in einem Tempo, dass man meinte jetzt und jetzt fällt er um – aber nein, er taumelte immer weiter und weiter gemächlich ans Ziel. Und man sah junge Burschen 5 Minuten vor zwölf zum Bäcker radeln, dass man die Beine kaum sah und – sofern er helle Schuhe anhatte, diese fast einen hell schimmernden Kreis bildeten. Erst sehr spät kamen Dreigang-Schaltungen auf, die sich aber bei der älteren Bevölkerung nie durchsetzen konnten – bis heute nicht! Denn ich kenne HEUTE (2007!) noch alte Menschen die stur behaupten, ihr Waffenrad „gehe viel leichter als das neumodische Glumpert“! Und sie haben recht! Sie bemerken einfach durch praktischen Vergleich, dass ja diese Räder ohne mechanischen Schnickschnack praktisch keinen (zusätzlichen) Reibungsverlust erleiden und daher wesentlich „leichter laufen“.

Die Räder selbst waren - auch durch die massiven Speichen - äußerst stabil und schwer. Aufgrund der einfachen Mechanik war jeder Imstande, „Patschen“ (defekter Schlauch, Panne) zu „picken“ (kleben). Mittels Schraubenzieher wurde der Mantel herabgehebelt, wenn der Schlauch luftlos war, das Ventil einfach herausgedreht, der Schlauch abgenommen und – wieder aufgepumpt. Dann den Schlauch in ein Schaff oder Kübel Wasser – und wo die Luftblasen entwichen, war das zu klebende Loch! Trockenreiben dieser Stelle, aufrauhen mit einer groben Raspel, Kleber drauf, Gummistück von einem alten Reifen draufgedrückt und eine Viertelstunde mit irgendwas Passendem beschweren. Erledigt. Der Schlauch wurde dann mit Federweiß „gleitfähig“ gemacht, damit er nicht am Mantel „hängenblieb“ und ungewünschte Verdrehungen oder Falten bei der Montage die Folge waren. Der Mantel wurde einseitig auf die Felge aufgezogen, der Schlauch sorgfältig eingelegt, der Mantel auf der anderen Seite aufgezogen und das Ventil befestigt. Dann konnte ein wenig aufgepumpt werden – aber nicht zu viel! Denn zwischendurch ließ man den Reifen „hüpfen“, indem man ihn mit dem Mantel auf den Boden prallen ließ während man ihn kreisförmig weiterbewegte, damit sich innen der Schlauch richtig einlegen, sich „richten“ konnte!

Die Ketten waren so massiv, dass ich selber nie einen Kettenriss erlebte. Es war aber eine allseits gefürchtete Panne, da sie praktisch nicht selbst repariert werden konnte und eine Werkstatt erforderte – was für viele ganz einfach unerschwinglich war! (Ich selbst lernte später, als ich mit 16 Jahren mein erstes eigenes Rad erhielt, mittels einer transportablen „Kettenschmiede“ und Ersatzgliedern auch diese Pannen sogar gleich unterwegs zu meistern!)

(Fortsetzung folgt ...)
 
Teil 4: So erlebte ich „Das Waffenrad“ – so erlebte das Waffenrad MICH !

Die Wartung dieser Räder erfolgte in den Kellern der Wohnungen. Sie wurden zerlegt, die Blechteile gewaschen und gegen den Rostbefall eingeölt. Alles Leder wurde mit Lederfett eingelassen – diese Sorgfalt war oft deutlich sichtbar an den Hosenböden der Männer und den Kleidern der Frauen!

Die Achsen wurden dabei ebenfalls zerlegt, die Einzelteile in Benzin gewaschen und neu gefettet. Als kleiner Junge war ich für die lose montierten Kugellagerkugeln der Vorderräder zuständig: kleine Finger waren hier von Vorteil! (Hier möchte ich einflechten, dass wir Kleinen mächtig stolz waren, mit dem Vater oder den großen Brüdern mitarbeiten zu dürfen! Verlange heute mal einer von einem Jugendlichen sein Rad zu zerlegen und zu reinigen ….. Viel Glück! Damals war es wichtig für die „Spielhofhierarchie“ ob man bei den Erwachsenen „mithelfen“ durfte oder nicht!). Meine Brüder zeigten mir sehr bald, wie man „Achter“ (Verbiegungen durch Schläge oder Sturz) aus den Felgen „herauszieht“. In einen Schraubstock wurde das abmontierte Rad mit der Achse vorsichtig (um das Gewinde nicht zu beschädigen) einseitig eingespannt und in leichte Drehung versetzt. Mit einer seitlich an einer fixen Position gehaltenen Kreide wurde der „Schlag“ der Felge angezeichnet: dort, wo die Verbiegung war, drückte die Felge ja gegen die Kreide und erhielt so einen Strich auf der Seite. Nun mußte man nur mehr diejenigen Speichen, die AN DER ACHSE dem Kreidenstrich gegenüber lagen etwas anziehen – und schon formte sich die verbogene Felge wieder gerade aus. Mit Übung und Fingerspitzengefühl konnte man dies zwei bis dreimal an einer Felge durchführen…. Dann mußte man sie ausklopfen und neu bespeichen!

Eine Luftpumpe war nicht im Lieferumfang enthalten – diese hatte man selber zu besorgen und es gab nur ein stabiles Modell aus Metall mit Fußbügel (auf den man trat, um die Pumpe zu fixieren) und einem ausklappbaren Handgriff. Die Schlauchspitze steckte man ins Ventil und schon gings los.

Die Hinterbremse des Waffenrades war eine Rücktrittbremse. Dies war nicht jedermanns bzw. jederfrau Sache. Manche schafften es tatsächlich, während des Absteigens manchmal ihr Gewicht auf das hintenliegende und somit bremsende Pedal zu verlagern – äußerst seltsame Stürze waren hierbei die Folge! Und immer war das Rad schuld, da die mechanische Auswirkung für manche Menschen einfach nicht erlernbar war, noch dazu, wo sie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen SO abstiegen! Es gab übrigens auch Fälle, wo die Rücktrittbremsen bei der Wartung genauso wie die Kugellager gefettet wurden …. Nun ja …

Wozu nun wurde dieses Waffenrad verwendet, benötigt? Wie eingesetzt?
Mein Vater fuhr damit zur Arbeit: auf der linken Seite manchmal eine Einkaufstasche über die Lenkstange gehängt; der von der Mutter geschriebene Zettel für die bei der Heimfahrt zu erledigenden Einkäufe war drinnen. Auf dem Gepäckträger seine lederne uralte Aktentasche - mit der Jause! Als Schichtarbeiter hatte er keine Akten ….

Interessant ist dass meine erste Erinnerung eines Rades eine Winterbegegnung ist: im Schneetreiben fährt eine dunkel gekleidete Frau dick vermummt, mit einem Männerhut auf den Kopf gebunden, durch unsere Straße, wo wir wohnten. Vorne dick weiß bestäubt, und als ich ihr nachschaue, schwarz und plötzlich drohend wirkend im schwachen Licht der damaligen wenigen Laternen; immer kleiner werdend verschwindet sie. Später empfand ich das als normal: Im Winter mit dem Rad zu fahren war normal …. Es gab ja Fäustlinge, Schal und Mütze, lange Unterhosen …

(Fortsetzung folgt ...)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe mit Genuss Deine Schilderung gelesen und auch an die Sammlung in unserem Dorfmuseum gedacht.
Meine ersten persönlichen Erinnerungen an Fahrrädern galt eigentlich ausschließlich dem Waffenrad. Radfahren zu erlernen war für uns kleine Buben nur möglich, wenn wir geschickt genug war, unter der Radstange hindurch seitlich aufgerichtet in die Pedale traten. Dazu mußten wir das Rad seitlich halten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Für die normale Sitzhaltung waren unsere Beine zu kurz. Etwas größer gewachsen konnten wir schon auf der Stange "reiten", vom Sattel aber noch weit entfernt. Nun ja, geschickt mußte man sein! Von altersgemäßen Rädern war natürlich noch keine Spur - es gab nur das Waffenrad!
far.a
 
Teil 5: So erlebte ich „Das Waffenrad“ – so erlebte das Waffenrad MICH !

Mechanisch talentierte bauten sich einen kleinen einachsigen Anhänger für das Waffenrad: eine Holzkiste mit zwei Rückstrahlern auf kleinen Speichenrädern. Dieser Anhänger wurde hinten beim Sattel mittels eines Gelenkes abnehmbar montiert.

Wilde, natürlich verbotene Spiele trieben die Halbwüchsigen (wie mein jüngerer älterer Bruder): Da Steyr-Münichholz als Waffenfabrik Angriffsziel mancher Bombergeschwader war, wimmelte es in unserer Umgebung von Bombentrichtern. Jene, die nicht leicht eingesehen werden konnten, waren das erklärte Ziel der Jugendlichen mit ihren Rädern. Diese Bombentrichter wurden nun aus einer Entfernung von etwa 50 Metern „angefahren“, so dass links (oder rechts) knapp vorbeigefahren werden konnte. Wer sich nun traute und bei dem die Geschwindigkeit reichte, der fuhr nun IM Bombentrichter knapp am oberen Rand im Kreis. Reichte die Geschwindigkeit nicht, stürzte man ab. War man schnell genug und bei ausreichender Kondition, schaffte man bis zu drei Runden (was bei der lockeren Erde viel bedeutete!). Hakte man mit dem Pedal irgendwo im Erdreich ein, hatte man ebenfalls ein massives Problem! Das ganze war unter „Todeskarussell“ allseits bekannt – außer bei den Eltern, gottseidank!

Das Waffenrad war maximal ein Dreisitzer: Einer saß am Sitz und trat, einer saß vorne am Lenker, die Beine seitlich auf die Gabel hängend aufgestützt, und einer saß hinten am Gepäckträger. Erst später wurde dies von der Polizei („vom Polizist’n“) beanstandet und untersagt, was bei manchen Ehepaaren für Diskussionen sorgte, wenn die Frau das Rad brauchte und sie hinten zur Arbeitsstätte mitfuhr, um dann allein die Einkäufe zu tätigen …. Eine beliebte Geschicklichkeitsübung war, dass einer am Sitz saß, und einer mit dem Rücken zur Fahrtrichtung am Lenker, der dann auch treten mußte … Wenn man so über den Stadtplatz in Steyr fuhr, erntete man anerkennende Zurufe … allerdings nur, wenn es sich um zwei Burschen handelte! Für ein Mädchen hätte eine derartige Sitzposition so kanpp vor einem Burschen Rufmord bedeutet!

Fast alle diese Dinge hatte ich gesehen, beobachtet, erfragt oder gezeigt bekommen – aber fahren durfte ich nicht! Zu wertvoll waren die Räder der Brüder, zu „verboten“ der Gedanke, den Vater zu fragen oder gar seines einfach zu nehmen …. Zu groß der Respekt, es vielleicht heimlich zu tun …. (ich lege Wert auf das Wort „Respekt“: es war keinesfalls „Angst“ …)

Nun geschah es dass ein Junge der Nachbarschaft ein rotes kleines „Jugendrad“ bekam – eine Großmutter hatte es beschafft. Der Aufruhr unter uns Kindern und Jugendlichen war groß. Der Bursche war vielleicht 8 oder 9 Jahre – ich immerhin schon mal 11! DAS war die Chance, und geschäftstüchtig wie Jungs nun mal sind, verlieh der kleine Junge sein Rad gegen Bares: 50 Groschen = eine „Hofrunde“ von vielleicht 250 Metern (Schleifenfahren und Umkehren war ausdrücklich verboten – nur bei Mädchen wurde es fallweise toleriert!). Supersache – bloß: WIE FAHRE ICH RAD? Eine Weile konnte ich, obwohl im Besitz von fünf ganzen Schillingen für winterliches Holz- und Brikett-Schleppen für eine alte Nachbarin, die Tarnung aufrecht erhalten und mich auf Sparsamkeit ausreden – und lehnte das Fahren gegen Bezahlung ab! Aber der Bursche war freundlich – und bot mir an mich heimlich gratis fahren zu lassen! Nun ja, ich habe mich meinem jüngeren älteren Bruder anvertraut in meiner Not und – er half mir tatsächlich! Nun ist das so eine Sache mit so einem großen Rad mit Querstange! Aber eines wussten wir alle miteinander: WENN so kleine Jungs und Mädels mit Waffenrädern fuhren, dann MIT EINEM BEIN UNTER DER STANGE DURCH! Wie wir das alle geschafft haben, weiß ich heut nicht mehr, aber alle Kleinen fuhren so auf einem Herrenrad – wenn sie fuhren!

Fazit: nach der dritten Fahrstunde hat es meinen Bruder gelangweilt und er schickte mich allein los. War auch kein Problem, ich WOLLTE ja fahren also konnte ich’s auch schnell. Bloß war da plötzlich frisch geschottert und auch noch die Ecke im Hof ….. !!! Auf beiden Knien blutend schob ich das schwer verletzte Rad nach Hause, schleppte es in den Keller (was ich noch nie tat, weil da war eine steile Betonstiege!), klaubte mit staubigen Fingern die Steine aus den Knien und trug die nächsten Tage lange Hosen. NIE durfte meine Mutter davon erfahren! Mein Bruder reagierte auf meine Beichte völlig unerwartet: Er besorgte Wundsalbe für die eiternden Wunden, erfand Ausreden und Ablenkung als ich Fieber bekam, half mir den heilenden Schorf abzuschaben - und wartete inzwischen voller Eifer und von Mutter deshalb gelobt sein Rad. Mir verschlug es die Sprache als ich auf dieses nun wieder tiefschwarz glänzende Wunder abermals aufsteigen durfte!

Und JETZT war die Zeit reif für das rote Jugendrad des Nachbarjungen. Ich fuhr königlich zwei heimliche Gratisrunden und nachmittags mit den anderen abwechselnd zwei bezahlte Runden – und dann nie wieder, denn es war ohnehin viel zu klein für mich, und DAFÜR schleppte ich nicht im Winter Holz und Briketts!

Immerhin wurde ich beobachtet von einer stolzen Mutter (wieso kann er das?), fallweise auch vom Vater (gut macht er das!) und verfolgt vom mißtrauischen Blick des älteren älteren Bruders (fährt der heimlich mit MEINEM Rad?) - die Mütter waren ohnehin immer abwechselnd einmal am Fenster und kontrollierten so ihre Sprößlinge . Und so durfte ich ab nun ganz ganz selten aber doch offiziell das Waffenrad des jüngeren älteren Bruder ausleihen und mal eine Runde drehen. Seltsam berührt mich noch heute, dass ab diesem Zeitpunkt ein Schloß das Fahrrad meines älteren älteren Bruders sicherte …. Nie hätte ich daran gedacht … naja, einmal vielleicht ??? ;-)

Rückblickend wird mir klar, warum so viele, unwesentlich scheinende Details in meinem Gedächtnis haften blieben: es war die Zeit, wo erst EIN Auto in unserer Straße parkte und wir es uns nur aus der Ferne zu betrachten getrauten; es war die Zeit wo nur wenige Menschen ein Moped besaßen; es ar die Zeit wo Wege immer noch zu Fuß abgewickelt wurden; wo Kinder in Gruppen spielten, sich beschäftigten und dabei das Leben miteinander lernten. Und neue Dinge wie das Steyrer Waffenrad gewaltig und massiv die Aufmerksamkeit zentrierten, die gesamten Lebensumstände veränderten, Hierarchien hierdurch umgebaut wurden; ja sogar wie in meinem Fall das mechanische Wissen erweiterten, sofern man wollte … und konnte … und durfte.

Ihr seht, das Waffenrad ist nicht nur einfach so ein Rad …

© Norbert Steinwendner
 
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Hallo Norbert,
das war eine tolle Beschreibung deiner Erfahrungen mit dem Waffenrad. Gefällt mir sehr gut. :smi_klats :smi_klats
Gruß Volker
 
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