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Das Handwerk des Beinringlers

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Über das bemerkenswerte Handwerk des Beinringlers bin ich im interessanten Buch von Karl Baumann "Alt-Dillinger Handwerk, ein Beitrag zur Geschichte einer verlorenen Welt" gestossen. Dillingen an der Donau liegt im Donauried in Bayern.

Die Beinringler Johann Nepomuk Kindig und Georg Wiedemann

Am 24. Juni 1831 hat sich bei einem ehrsamen Handwerk Johann Nepomuk Kindig als Meister einschreiben lassen und hierauf die Gebühren in die Lade erlegt. Diese betrugen 45 Kreuzer. Dazu kamen eineinhalb Gulden für die beiden Zunftmeister und ein Gulden für die Armenkasse. An den Akt der Aufnahme schloß sich das Mahl für die Mitmeister, das ihn noch zusätzlich fünf Gulden kostete. So war es damals Brauch bei den Schlossern, Glasern und Büchsenmachern zu Dillingen und so hält es auch das Meisterbuch dieser Zunft fest.

Der junge, neu aufgenommene Beinringler war nach etwa 150 Jahren Unterbrechung wieder der erste Vertreter dieses Handwerks, der sich hier am Ort niederließ. Er stammte aus Untergünzburg, wo er 1804 zur Welt kam, hatte 1831 in Dillingen geheiratet und sich im Hause Entengasse 2 niedergelassen. Wohnung und Werkstatt befanden sich damals, wie dies bis heute noch vielfach der Fall ist, in ein und demselben Haus. Von seinen Lehrjungen, die er während seiner 32jährigen Tätigkeit hier ausbildete, sollte Georg Wiedemann aus Lauingen das Handwerk seines Meisters fortführen. Im Jahre 1837 als Sohn eines Taglöhners geboren, kam er als Junge mit 13 Jahren zu Johann Nep. Kindig in die Lehre. Da der Bub mittellos war, zahlte sein Lehrmeister auch die anfallenden Gebühren in Höhe von zwei Gulden 15 Kreuzer für ihn. Vier Jahre später (1854) ließ ihn Meister Kindig „aus der Lehre freisprechen und zum Gesellen machen", nachdem er sein Gesellenstück vorgelegt hatte, wozu er vierzehn Tage Zeit hatte dieses anzufertigen. Danach verliert sich die Spur des jungen Beinringlers für ein Jahrzehnt, in dem er wohl den Militärdienst ableistete und auf Wanderschaft unterwegs war. Seines Lehrmeisters Tod im Jahre 1863 könnte vielleicht der Grund gewesen sein, daß es ihn 1865 wieder nach Dillingen zog. Hier erwarb er das Anwesen Entengasse 4, ein altes Handwerkerhäuschen in der Vorstadt, das bis heute sein ursprüngliches Aussehen weitgehend bewahren konnte. Wie lange er dort seinem aussterbenden Handwerk nachging, läßt sich nicht mehr genau aus den Akten ermitteln. Als er im Jahre 1900 starb, hatte er seinen Beruf bereits aufgegeben und lebte als „Privatier", wie es im damaligen Sprachgebrauch hieß.

Der Beinringler oder Beinmacher bezog ähnlich wie der Kammacher den größten Teil seines Rohstoffes von den Metzgern. Da um 1865 in Dillingen 15 Metzgermeister tätig waren, dürfte dem Beinringler die Beschaffung von billigem Rohstoff keine Schwierigkeiten bereitet haben. Es waren vor allem Rinder-, Pferde- und Hirschknochen, aber auch Knochen von Gänsen, Enten und Hasen, die er verarbeitete. Aus ihnen verfertigte er Nadelbüchsen, Spulen, Würfel, Serviettenringe, Knöpfe, Messer- und Gabelgriffe, Becher, Aufsätze für Leuchter, Vogelpfeifen und Jagdrufe, um nur einige Gegenstände zu nennen. Auch mancherlei Kinderspielzeug kam aus seiner Werkstatt. Nicht alle seiner Arbeiten waren aus Bein gefertigt. Bisweilen haben anspruchsvollere Auftraggeber Gegenstände in Elfenbein gewünscht. Übrigens, für die dünnen Plättchen der Klaviertasten verwendete man früher sehr gerne Hirschknochen, die als sehr fein galten und wegen ihrer schönen weißen Farbe sehr geschätzt waren.

Als wichtigstes Handwerksgerät diente dem Beinringler die Drehbank. Damit bearbeitete er die runden Knochen, während die flache Ware durch Schaben und Schneiden entstand. Zuerst jedoch mußte der Meister die zur Bearbeitung ausgewählten Knochen auskochen und bleichen. Dies besorgte eine Lauge aus Kalk und Pottasche. Letztere könnte ihm der Dillinger Ferdinand Hamauer (1770-1842) geliefert haben, der in jenen Jahren den in unserer Stadt ganz seltenen Beruf eines Pottaschenbrenners ausübte. Kalk und Pottasche bewirkten nämlich, dass die Knochen eine schöne weiße Farbe erhielten. Für das Zuschneiden der Knochen verwendete der Beinringler eine dünne, scharfe Säge, die sog. Beinsäge, während die Beinhacke das Gerät war, mit dem er die Knochen behaute. Den schönen Glanz indes erhielt die gewöhnliche Ware durch Schleifen mit Schachtelhalm und Polieren mit Spänen aus der eigenen Werkstatt. Qualitätsvollere Ware schliff der Beinringler zuerst mit nassem Schachtelhalm, danach mit Bimsstein, um sie dann mit nasser, geschlämmter Kreide oder mit Kalk und Seife zu polieren.

In Dillingen hat sich noch ein Serviettenring erhalten, auf dessen Oberfläche ein bäuerliches Motiv geätzt wurde. Für die Ätzung von diversen Motiven und figuralem Schmuck auf Bein verwendete der Beinringler konzentrierte Schwefelsäure. Auch dunkelrote, blaue, braune, gelb und schwarz gefärbte Beinware taucht hin und wieder auf. Diese Farbeffekte wurden erzielt durch Abkochen von brasilianischem Holz in Kalkwasser, Auflösung von Indigo mit Schwefelsäure, Abkochen von Pernambukholz mit Kreuzbeeren, Curcuma, Alaun, Galläpfeln, Nußschalen und essigsaurem Eisen.
Stadtarchiv; Meisterbuech eines ehrsamben Handtwercks der Schloßer, Glaßer und Bixenmacher 1688-1833. Meyers Konversationslexikon, Leipzig 1874.

Quelle: Karl Baumann, Alt-Dillinger Handwerk, ein Beitrag zur Geschichte einer verlorenen Welt, Dillingen 1993, S. 77 -78.


Wolfgang (SAGEN.at)
 

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In unserem Ort – etwas außerhalb, in einer alten Villa – lebte ein Holzschnitzer.
Jan van der Steen, 1892 in Belgien geboren, hatte in Paris in einer Schirm- und Gehstockmanufaktur gearbeitet, dort Elfenbein geschnitzt und Perlmutt- und Schildpatteinlegearbeiten gemacht.
Im Krieg kam er nach Österreich und blieb – der Liebe wegen. Als Hilfsarbeiter war er wenig geeignet , so versuchte er mit einfachsten Materialien Gegenstände herzustellen, die sich die hiesige Bevölkerung leisten konnte. Vieles wurde in Naturalien eingetauscht.
Auch ihm lieferte Schlachthof-Abfall das Rohmaterial, vor allem Horn.
Aus den verschiedenfarbigen Schichten arbeitete er Reliefs heraus und schabte den Rest so hauchdünn, dass das Licht durchschien.
Neben Lampenschirmen stellte er alle möglichen Tiere her, kleine Rauchgarnituren mit Fischen – was den Menschen hier gefiel.
Schon als Kind war ich fasziniert von dem kleinen Mann, der so ganz anders aussah und sprach als alle anderen. Später hatte ich das Glück, ihn kennen zu lernen, mein erstes eigenes Zimmer war in dieser Villa und ich durfte in seiner Werkstatt arbeiten.
Nie vergesse ich den Gestank, wenn seine Frau die Hörner im Waschkessel im Keller auskochte. Dann schlug sie das heiße Horn so lange gegen eine Betonstufe, bis der Knochen herausflog.

Den kleinen Knochenring schenkte er mir, er hatte ihn als Erinnerung an arge Notzeiten aufbewahrt. Ich achte ihn als Erinnerung an einen ganz besonderen Menschen. Als er 1967 starb, hatte das Haus seine Seele verloren.
 

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Hallo Elfie,

vielen Dank für Deine wertvolle persönliche Ergänzung zum Thema!
Wie nannte man Jan van der Steen's Handwerk?

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Das weiß ich eigentlich nicht. Sein Handwerk hatte er in Paris gelernt in dieser Manufaktur für Gehstöcke und Schirmgriffe aus edlen Materialien, hier war er der „Holzschnitzer“, unverstanden und als Mensch völlig verkannt. Er lebte von der Hand in den Mund und machte alles, womit man sein Heim schmücken wollte, manche brachten Fotos oder Heiligenbilder, wie den Christuskopf nach Reni.
Ich erinnere mich an einen monströsen Barockrahmen, mindesten 1,70 x 1,30 m oder ein Wandmosaik, ca. 2x3 m und viele Kleinigkeiten. Mit Horn hat er immer gern gearbeitet, machte Schmuck, drechselte Perlen… Die Tafeln auf dem Foto waren für das Tor einer Leichenhalle und hatten eine sehr schöne Symbolik.
Wenn er „liefern“ ging, war das immer ein Großereignis. Der Fleischhauer im Nachbarort stattete die Gästezimmer seines Gasthauses neu aus, da gab es viele Aufträge. Bei einer Lieferung lernte er einen Zirkusdirektor kennen, der gerade hier gastierte. Er feilschte mit dem Metzger um den Preis für das Tierfutter. Jan feilschte mit und kaufte für seine gesamte Gage Futter. Das bedeutete zu Hause erst mal Krieg, aber danach eine lebenslange Freundschaft mit dieser Zirkus-Familie.
 

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Danke! Leider hab ich nur wenige Fotos von ihm, erst konnte seine Frau sich nicht davon trennen, dann war ich weggezogen und hab mich nicht mehr darum gekümmert, was mir heute leid tut.
 
boah ist der schön- (der ring) eine wunderschöne sache wenn man sowas kann. danke fürs erzählen!
ich mag knochenschmuck und hornschmuck auch total gerne- auch die arbeit damit ist schön, ich hab früher viel aus knochen gemacht weil ich indianischen schmuck nachgebildet habe... mein ex-mann schnitzt heute noch knochenschmuck. ist ne heidenarbeit aber super material...
hätte diesem mann gerne mal zugeschaut bei der arbeit! *seufz*

alles liebe, sonja
 
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