Die Sage vom Wörthersee
Am Südufer des Wörthersees, westlich von Maiernigg, fällt die mit dunklem Nadelholz bewachsene Berglehne steil zum Wasser ab und bildet die sogenannte Schwarze Wand, unter welcher in der Geisterstunde die Glocken einer versunkenen Stadt ertönen sollen. Denn an dieser Stelle stand, so erzählt die Sage, vor vielen hundert Jahren eine große Stadt mit prachtvollen Gebäuden. Aber ihre Bewohner waren durch Reichtum übermütig und üppig geworden; sie vergaßen Gott, Zucht und Sitte und trieben nur ruchlosen Spott mit göttlichen und menschlichen Gesetzen. So kam es, daß sie einst am Vorabende des Osterfestes zu Tanz und Gelage sich versammelten. Schon kündete der Glocken Klang eine späte Stunde, und noch immer frönten sie ihrer wilden Lust. Da öffnete sich die Tür des Festsaales, und ein hageres, eisgraues Männlein blickte verwundert auf das lärmende Treiben in der prunkvollen Halle. Grollend ruft es endlich aus: „O ihr gottlosen Schwelger, wisset ihr nicht, welche Feier wir morgen begehen? Kehret heim, ehe euch strenge Strafe erreicht!" Aber nur höhnisches Lachen antwortete ihm. Verdrossen entfernte sich der Alte, und wilder wird der Tanz, noch lauter der Trunkenen wüstes Geschrei. So rückte die Mitternacht heran. Abermals betritt der Warner den Saal; er trägt ein Fäßlein im Arme und mahnt neuerdings, abzulassen von dem frevelhaften Tun. „Wenn ihr mir nicht folgt", fügt er hinzu, „öffne ich den Hahn dieses Fäßleins, und Tod und Verderben kommt über euch." Wieder antwortet ihm nur frecher Spott der Verstockten. Da schlägt es Mitternacht.
Alle Lichter erlöschen, die Mauern erbeben, ein furchtbares Gewitter entladet sich unter wütendem Sturmesgebrause, und in Strömen fließt der Regen. Mit offenem Hahne liegt das Fäßlein des verschwundenen Warners da, und endlose Fluten entströmen ihm. Sie dringen in alle Räume und strömen fort, bis sie die ganze Stadt und Gegend überschwemmt, jedes Werk der Menschenhand bedeckt haben. So ward die Stadt vernichtet, ihren ruchlosen Bewohnern der Untergang bereitet. Nimmer verloren sich die Wasser: sie bildeten den heutigen See. Städte, Kirchen und Dörfer liegen in seiner unergründlichen Tiefe begraben, und in den alten Palästen hausen Fische von ungeheurer Größe und riesenhafte Wasserschlangen. Und noch jetzt - so geht die Sage - vernehmen die Fischer oft mit Schaudern, wenn sie an gewissen Orten vorüberfahren und an stillen Sommerabenden die Abendglocken über den See tönen, von unten wie aus einer bodenlosen Tiefe ein Getön, gleich den mattverhallenden Glockentönen der versunkenen Kirchen. Manchmal sieht man des Stadtkirchturms Spitze, welche die Schiffer ängstlich meiden, um nicht mit zerschelltem Boote in den Wellen zu versinken.
Am östlichen Ufer des Sees erhebt sich das Schloß Loretto, so genannt von der Kapelle Maria Lauretana. In dieser soll vor Zeiten eine große prächtige Orgel gestanden haben. Einmal mußte sie zerlegt und ein Teil davon nach Maria-Saal geschickt werden. Beim Fortschaffen der Orgel wurde die Glocke des Kirchleins geläutet. Diese war über den Verlust der Orgel so betrübt, daß sie sich vom Glockenstrange losriß und in den See sprang. Noch heute soll sie, zwi