Pilgram, Anton, * um 1460 Brünn (?, Brno, Tschechische Republik), † um 1515 Wien, Dombaumeister in Wien, Bildhauer und Baumeister. Vermutlich nach 1487 in Schwaben tätig, 1495 erstmals durch Steinmetzzeichen an Erker und Wendeltreppe der St. Jakobskirche in Brünn greifbar, in der Wiener Dombauhütte ab 1512 urkundlich nachweisbar. Pilgram vollendete hier den Orgelfuß (1513, mit seinem Selbstbildnis). Die bedeutende Kanzel von St. Stephan (um 1500), die lange als sein Werk galt, dürfte doch nicht von ihm stammen, sondern älteren Ursprungs sein. Bemerkenswert ist die Pilgram zugeschriebene Statuette des "Falkners" (um 1500, Kunsthistorisches Museum, Wien) mit ihrer raumgreifenden Bewegung, die renaissancehafte Auffassung mit spätgotischer Detailmodellierung verbindet. Pilgram starb vermutlich um 1515, als Gregor Hauser seine Nachfolge als Dombaumeister von St. Stephan übernahm.
Literatur: R. Feuchtmüller, Die spätgotische Architektur und A. Pilgram - Gedanken zu neueren Forschungen, 1951; K. Oettinger, A. Pilgram und die Bildhauer von St. Stephan, 1951.
Phänomen des Schielens in der Kunst:
Mit Beginn des 14. Jahrhunderts wandelt sich die Bedeutung des divergenten Schielens, jetzt findet man es auch bei Figuren, die als Lebende dargestellt sind. In einer Schnitzgruppe von 1310 wenden Jesus und der ungläubige Thomas jeweils ein Auge dem anderen zu, während das zweite geradeaus gerichtet ist, sodass Kommunikation zwischen den Protagonisten, zugleich aber auch mit dem Betrachter vermittelt wird. Ebenso blicken gotische Madonnen nicht selten sowohl auf ihr Kind als auch auf das Publikum, als wollten sie Kontakt zwischen beiden herstellen.(Abb.2, Madonna col bambino, 1403). In spätgotischen Kreuzigungsgruppen beschränkt sich das Prinzip der nach außen gelenkten Augen nicht mehr auf den ans Kreuz Geschlagenen, als akute Gemütserregung erfasst es auch Maria (Abb.4) und andere Assistenzfiguren. Aber nicht nur Schmerz und Trauer, auch Entzücken und Ekstase finden so ihren Ausdruck, etwa am Beispiel einer Verkündigung. Divergent schielende Augen dienen auch noch im Barock zur Vermittlung intensiver Gemütsbewegung, die erst nach der Aufklärung und deren naturwissenschaftlich orientierter Grundhaltung nicht mehr dem künstlerischen Interesse entspricht.
Als Bestätigung der beschriebenen Interpretation des Schielens in Gotik und Barock zitiert Elfriede Stangler-Zuschrott ein medizinisches Lehrbuch von 1732, in welchem den einzelnen Augenmuskeln emotionale Qualitäten zugeordnet werden. So wird etwa der Augensenker als der „demütige“ Muskel bezeichnet und ein anderer als „Liebesmuskel“.
Die Beurteilung des Phänomens als tatsächliche Intention des Künstlers muss jedoch stets auf die Position der jeweiligen Figur im Raum Rücksicht nehmen, da die Perspektive deren Augenstellung verfälschen kann. Weiters ist nicht auszuschließen, dass eine historische Gestalt vielleicht wirklich ein medizinisches Problem hatte. So könnte sich Meister Anton Pilgram bei seiner Arbeit als Steinmetz eine Augenverletzung mit nachfolgendem Schielen zugezogen haben. Sein Selbstporträt im Wiener Stephansdom (1513) lässt dies vermuten.
Quelle:
UNIVERSITÄTSPROFESSOR
DR. ELFR